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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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verfolgte, so war ich entschlossen, mich lediglich an Mama anzuschließen, ihre Gefahr zu theilen und mich nicht mehr fruchtlos über eine Zukunft zu beunruhigen, der ich ihren Lauf lassen mußte. Sie empfing mich, als hätte ich Schätze zurückgebracht, schaffte mir nach und nach wieder eine kleine Garderobe an, und mein Unglück, so groß es für mich wie für sie auch war, wurde fast eben so schnell vergessen, wie es hereingebrochen.
    Obgleich ich in Folge dieses Unglücks jetzt über meine Musikpläne kühler dachte, unterließ ich doch nicht, meinen Rameau beständig zu studiren, und mit großer Anstrengung brachte ich es endlich dahin, ihn zu verstehen und einige kleine Compositionsversuche zu machen, deren Erfolg mich ermuthigte. Der Graf von Bellegarde, ein Sohn des Marquis von Antremont, war nach dem Tode des Königs August aus Dresden zurückgekehrt. Er hatte lange in Paris gelebt; er war ein großer Musikfreund und hatte besonders für Rameau'sche Musik eine wahre Leidenschaft gefaßt. Sein Bruder, der Graf von Nangis spielte Violine, und Frau Gräfin von La Tour, ihre Schwester, sang ein wenig. Hierdurch kam in Chambery die Musik in Mode und man veranstaltete eine Art öffentlicher Concerte, deren Leitung man anfangs mir übertragen wollte; allein man merkte bald, daß sie meine Kräfte überstieg, und richtete sich anders ein. Ich unterließ nicht, dabei einige kleine Stücke eigener Arbeit vorzutragen und unter andern eine Cantate, die sehr gefiel. Sie war zwar kein Meisterstück, aber voll neuer und wirkungsvoller Melodien, die man mir nicht zugetraut hatte. Diese Herren konnten nicht glauben, daß ich, der ich so schlecht Noten las, im Stande wäre, leidlich zu componiren, und sie zweifelten nicht, daß ich mich mit fremden Federn geschmückt hätte. Um die Wahrheit festzustellen, suchte mich eines Morgens Herr von Nangis mit einer Cantate von Clerambaut auf, die er nach seiner Erklärung, um sie singbarer zu machen, transponirt hatte, und zu der nun ein anderer Baß geschrieben werden müßte, da in Folge der Transposition Clerambauts Composition für dieses Instrument nicht mehr paßte. Ich erwiderte, dies wäre eine bedeutende Arbeit, die sich nicht auf der Stelle ausführen ließ. Er glaubte, ich wäre nur um eine Ausflucht verlegen und drängte mich, ihm wenigstens den Baß zu einem Recitativ zu schreiben. Ich that es also, jedenfalls mangelhaft, weil ich, um etwas gut zu machen, bei jedem Dinge der Zwanglosigkeit und Freiheit bedarf; aber ich machte die Arbeit nach den Regeln, und da er zugegen war, konnte er meine Kenntnis der Anfangsgründe der Kompositionslehre nicht bezweifeln. So verlor ich meine Schülerinnen nicht, allein ich wurde ein wenig kühl gegen die Musik, da ich gewahrte, daß man ein Concert veranstaltete, ohne mich dabei zu gebrauchen.
    Ungefähr um diese Zeit wurde Friede geschlossen und die französische Armee marschirte über das Gebirge zurück. Mehrere Officiere besuchten Mama, unter andern der Graf von Lautrec, Oberst des Regiments Orleans, später Gesandter in Genf und endlich Marschall von Frankreich. Diesem wurde ich von Mama vorgestellt. Nach dem, was sie ihm sagte, schien er großes Interesse für mich zu gewinnen und versprach mir vielerlei, woran er sich erst im letzten Jahre seines Lebens erinnerte, als ich ihn nicht mehr nöthig hatte. Zu der nämlichen Zeit kam der junge Marquis von Sennecterre, dessen Vater damals Gesandter in Turin war, durch Chambery. Er speiste bei Frau von Menthon; auch ich speiste an diesem Tage bei ihr. Nach dem Essen war von Musik die Rede, von der er ein gründlicher Kenner war. Die Oper Jephtah war damals etwas Neues, er erzählte von ihr, man ließ die Partitur holen. Ich schauderte, als er mir den Vorschlag machte, diese Oper in Gemeinschaft mit ihm zu singen. Als er die Partitur aufschlug, kam er gerade auf die berühmte, für zwei Chöre geschriebene Stelle:
La terre, l'enfer, le ciel même
Tout tremble devant le Seigneur.
     
    Er fragte mich: »Wie viel Stimmen wollen Sie singen? Ich für meine Person will diese sechs übernehmen.« Ich war noch nicht an solche französische Großthuerei gewöhnt, und obgleich ich mitunter Partituren mühselig gelesen hatte, war es mir doch unfaßbar, wie derselbe Mensch gleichzeitig sechs Stimmen, ja auch nur zwei singen könnte. Nichts ist mir bei musikalischen Uebungen schwerer gewesen, als mit Leichtigkeit von einer Stimme zur anderen überzugehen und zugleich eine ganze Partitur mit den

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