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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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erholen können, die sich meiner bemächtigte, als ich den guten Fénélon in seinem Telemach von ihr reden sah, als ob er im Ernste an sie glaubte. Aber ich hoffe, daß er damals log; denn wie wahrhaft man auch sein möge, muß man doch bisweilen lügen, wenn man Bischof ist. Mama log mir gegenüber nicht, und diese Seele ohne Haß, die sich keinen Gott der Rache und des steten Grimmes vorstellen konnte, sah nur Gnade und Erbarmen, wo die Frömmler nur Gericht und Strafe sehen. Sie behauptete oft, Gott würde keine Gerechtigkeit haben, wenn er gegen uns gerecht wäre, denn da er uns das nicht gegeben hat, was dazu gehört, es zu sein, würde er mehr fordern, als er uns verliehen hat. Seltsamerweise ließ sie sich, obgleich sie nicht an die Hölle glaubte, doch den Glauben an das Fegefeuer nicht nehmen. Dies kam daher, daß sie mit den Seelen der Bösen nichts anzufangen wußte, daß sie dieselben nicht verdammen und doch auch mit den Guten erst in Verbindung bringen konnte, wenn sie selber gut geworden waren; und man muß gestehen, daß es wahrlich in dieser wie in der jenseitigen Welt mit den Bösen immer ein mißlich Ding ist.
    Noch eine andere Seltsamkeit. Man sieht ein, daß durch dieses System die ganze Lehre von der Erbsünde und der Erlösung aufgehoben, das Fundament des gewöhnlichen Christenthums erschüttert wird, und der Katholicismus wenigstens damit nicht bestehen kann. Mama war indessen eine gute Katholikin oder machte Anspruch darauf es zu sein, und that es sicherlich im besten Glauben. Man schien ihr die heilige Schrift zu buchstäblich und zu hart auszulegen. Alles, was man von den ewigen Qualen in ihr liest, betrachtete sie nur als Drohungen oder Gleichnisreden. Der Tod Jesu Christi schien ihr ein Beispiel von wahrhaft göttlicher Erbarmung, um die Menschen zu lehren, Gott und sich selbst unter einander zu lieben. Mit einem Worte, treu der Religion, zu der sie sich bekannte, nahm sie auch aufrichtig deren ganzes Glaubensbekenntnis an; sobald es zur Erörterung der einzelnen Artikel kam, ergab es sich, daß sie ganz anders als die Kirche glaubte, wenn sie sich ihr auch immer unterwarf. Sie hatte in dieser Hinsicht eine Herzenseinfalt und einen Freimuth, der beredter war als jede sophistische Rechthaberei und sogar ihren Beichtvater oft in Verlegenheit setzte, da sie ihm nichts verhehlte. »Ich bin eine gute Katholikin,« sagte sie zu ihm, »und will es immer bleiben; ich füge mich mit ganzer Seele den Aussprüchen der heiligen Mutter Kirche. Ich bin nicht Herrin meines Glaubens, aber meines Willens. Ihn unterwerfe ich rückhaltslos und will alles glauben. Was verlangen Sie mehr von mir?«
    Ich glaube, wenn es auch keine christliche Moral gegeben hätte, würde sie nach ihr gelebt haben, so sehr stand dieselbe mit ihrem Charakter in Einklang. Sie that alles, was verordnet war, aber sie hätte es gleichfalls gethan, wäre es auch nicht verordnet gewesen. In gleichgiltigen Dingen gehorchte sie gern, und wäre es ihr gestattet, ja wäre es ihr sogar befohlen worden, an Festtagen Fleischspeisen zu essen, sie hätte aus Gottesfurcht die Fasten beobachtet, ohne auf irgend etwas Rücksicht zu nehmen. Allein diese ganze Sittenlehre war den Grundsätzen des Herrn von Tavel untergeordnet, oder behauptete sie vielmehr, nichts Widerstreitendes in ihnen zu erblicken. Sie hätte mit aller Gewissensruhe täglich mit zwanzig Männern Gemeinschaft pflegen können, ohne dabei mehr Bedenken als Begierde zu empfinden. Ich weiß, daß viele Frömmlerinnen in diesem Punkte nicht bedenklicher sind; allein ein großer Unterschied liegt darin, daß sie durch ihre Leidenschaften verführt werden und Mama nur durch ihre Trugschlüsse. In den rührendsten, ja ich scheue mich nicht zu behaupten, in den erbaulichsten Gesprächen hätte sie auf diesen Punkt eingehen können, ohne auch nur die Miene zu verziehen oder in einen andern Ton zu verfallen, ohne sich im Widerspruch mit sich selbst zu glauben. Sie hätte sogar ein derartiges Gespräch im Nothfalle um der That selber willen unterbrechen können, und würde es dann mit derselben Ruhe wie vorher wieder aufgenommen haben, so vollkommen war sie innerlich davon überzeugt, daß dies alles nur ein Grundsatz der gesellschaftlichen Ordnung wäre, den jeder vernünftige Mensch auslegen, befolgen und hin und wieder verletzen könnte, ganz nach seiner Beurtheilung der Dinge, ohne befürchten zu brauchen, Gott damit zu beleidigen. Obgleich ich in diesem Punkte gewiß nicht ihre

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