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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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beschloß meinen Leitfaden daraus zu machen. Trotz meines Zustandes oder vielmehr in Folge meines Zustandes fühlte ich mich endlich nach und nach mit unwiderstehlicher Gewalt zum Studium hingezogen, und während ich jeden Tag als den letzten meines Lebens betrachtete, studirte ich mit einer solchen Leidenschaft, als hätte ich ein ewiges Leben vor mir gehabt. Man sagte, das wäre mir nachtheilig, ich dagegen glaube, es war mir vortheilhaft und zwar nicht allein für meinen Geist, sondern auch für meinen Körper; denn diese geistige Anstrengung, der ich mich mit Leidenschaft überließ, wurde mir so genußreich, daß ich an mein Uebelbefinden gar nicht mehr dachte und deshalb auch weniger darunter litt. Allerdings verschaffte mir nichts eine wirkliche Linderung, da ich aber keine heftigen Schmerzen empfand, gewöhnte ich mich daran, einen siechen Körper zu haben, nicht schlafen zu können, nur zu denken, anstatt mich körperlich zu beschäftigen und endlich daran, die allmähliche und langsame Abnahme meiner Kräfte wie einen unvermeidlichen Proceß zu betrachten, dem der Tod allein Halt gebieten könnte.
    Diese Ueberzeugung befreite mich nicht allein von allen nichtigen Erdensorgen, sondern auch von den lästigen Curen, denen man mich bis jetzt wider meinen Willen unterworfen hatte. Ueberzeugt, daß mir seine Arzneien die Gesundheit nicht wiedergeben könnten, verschonte mich Salomon mit diesem übelschmeckenden Zeuge und begnügte sich damit, den Schmerz der armen Mama mit einigen jener unschädlichen Recepte zu beschwichtigen, welche die Hoffnung des Kranken nähren und das Vertrauen zu dem Arzte aufrechterhalten. Ich gab die strenge Diät auf, trank wieder Wein und nahm, so weit meine Kräfte es gestatteten, wieder die Lebensweise eines gesunden Mannes auf, in jedem Dinge mäßig, aber mir nichts versagend. Ich ging sogar aus und begann von neuem meine Bekannte zu besuchen, namentlich Herrn von Conzié, an dessen Umgange ich großes Gefallen fand. Kurz, ob es mir nun schön vorkam, bis zu meiner letzten Stunde zu lernen, oder ob sich noch heimlich ein Rest von Lebenshoffnung auf dem Grunde meiner Seele erhielt, die Erwartung meines nahen Todes war so weit davon entfernt, meinen Lerneifer zu mäßigen, daß sie ihn vielmehr anzufachen schien, und ich beeilte mich, einiges Wissen für die andere Welt zu sammeln, als hätte ich geglaubt, dort nur auf das eigen erworbene angewiesen zu sein. Ich war gern in dem Laden eines Buchhändlers, namens Bouchard, den einige Gelehrte als Bezugsquelle benutzten; und als nun der Frühling nahte, den ich nicht mehr zu erleben geglaubt hatte, so versah ich mich mit einigen Büchern für Charmettes, im Falle ich das Glück hätte, dorthin zurückzukehren.
    Ich hatte dieses Glück und kaufte es auf das Beste aus. Die Freude, mit der ich die ersten Knospen sah, läßt sich nicht schildern. Den Lenz wieder erleben kam mir wie die Auferstehung im Paradiese vor. Kaum begann der Schnee zu schmelzen, als wir unsere Kerkermauern verließen und ziemlich früh nach Charmettes übersiedelten, um die ersten Schläge der Nachtigall hören zu können. Von da an quälte ich mich nicht länger mit Todesgedanken, und wirklich ist es eigentümlich, daß ich auf dem Lande nie von schweren Krankheiten befallen bin. So viel ich auf demselben auch gelitten habe, bin ich doch daselbst nie bettlägerig gewesen. Wenn ich mich leidender als gewöhnlich fühlte, habe ich oft gesagt: »Sehet ihr mich dem Tode nahe, so tragt mich in den Schatten einer Eiche hinaus; ich versichere euch, daß ich dann davon kommen werde.«
    Obgleich noch schwach, nahm ich meine ländlichen Arbeiten wieder auf, aber in einer meinen Kräften entsprechenden Weise. Es that mir wirklich leid, daß ich den Garten nicht ganz allein in Stand setzen konnte; aber sobald ich einige Spatenstiche gemacht hatte, war ich außer Athem, schweißtriefend und konnte nicht weiter. Bückte ich mich, verdoppelte sich mein Herzklopfen, und das Blut stieg mir mit solcher Gewalt nach dem Kopfe, daß ich mich schnell wieder in die Höhe richten mußte. Genöthigt, mich auf weniger anstrengende Arbeiten zu beschränken, warf ich mich unter andern zum Wärter des Taubenschlages auf und gewann so große Lust zu diesem Amte, daß ich oft Stunden lang, ohne mich auch nur einen Augenblick zu langweilen, im Schlage zubrachte. Die Taube ist sehr scheu und schwer zahm zu machen; trotzdem gelang es mir, den meinigen ein so großes Vertrauen einzuflößen, daß

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