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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Ansicht theile, gebe ich doch zu, daß ich sie nicht zu bestreiten wagte, weil ich mich schämte, gegen sie eine so wenig galante Rolle durchzuführen. Ich hätte freilich diese Regel für die andern gelten lassen sollen, unter der Bemühung, mich von ihr auszuschließen; aber abgesehen davon, daß schon Mamas Temperament den Mißbrauch ihrer Grundsätze hinreichend verhütete, wußte ich auch, daß sie eine Frau war, die sich nicht täuschen ließ, und daß die Beanspruchung einer Ausnahme für meine Person ihr dieselbe für jeden nach ihrem Belieben eingeräumt hätte. Uebrigens führe ich hier diese Inconsequenz nur gelegentlich der andern an, obgleich sie auf ihre Aufführung stets von wenig Einfluß gewesen ist und damals gerade völlig einflußlos war. Allein ich habe versprochen, ihre Grundsätze getreu auseinander zu setzen, und dieser Verpflichtung will ich nachkommen. Ich kehre zu mir selbst zurück.
    Da ich bei ihr alle Lehren und Lebensregeln fand, deren ich bedurfte, um meine Seele vor den Schrecken des Todes und dessen, was er mit sich bringt, zu bewahren, so schöpfte ich mit Ruhe aus dieser Quelle der Zuversicht. Ich hing mit innigerer Liebe als je an ihr; ich hätte mein Leben, dessen Ende ich herannahen fühlte, ganz auf sie übertragen mögen. Aus dieser verdoppelten Liebe zu ihr, aus der Ueberzeugung, daß ich nur noch kurze Zeit zu leben hatte, aus meiner tiefen Ruhe über das Schicksal, das meiner wartete, ging ein gleichmäßiger Zustand des Friedens und sogar des sinnlichen Genusses hervor, da er alle Leidenschaften, die unsere Befürchtungen und Hoffnungen in die Weite führen, beruhigte und mich deshalb die wenigen Tage, die mir noch blieben, unbesorgt und unbekümmert genießen ließ. Eins trug dazu bei, sie mir noch angenehmer zu machen; dies war mein Bemühen, ihr Gefallen an dem Landleben durch alle Vergnügungen zu nähren, die ich ihr irgend verschaffen konnte. Indem ich ihr Freude an ihrem Garten, ihrem Hühnerhofe, ihren Tauben und Kühen einflößte, gewann ich selbst dies alles lieb, und diese kleinen Beschäftigungen, die meinen Tag ausfüllten, ohne meine Ruhe zu stören, wirkten auf mich wohlthätiger als die Milch und alle Heilmittel, um meine arme Maschine fortarbeiten zu lassen und sie sogar so viel als möglich wieder auszubessern.
    Die Weinlese, die Obsternte machten uns den Rest dieses Jahres angenehm und heiter und fesselten uns inmitten der guten Leute, von denen wir umgeben waren, mehr und mehr an das Landleben. Mit großem Bedauern sahen wir den Winter kommen und kehrten in die Stadt zurück, als wären wir in die Verbannung gegangen, ich besonders, der ich in dem Wahne, den Frühling nicht mehr zu erleben, Charmettes auf ewig Lebewohl gesagt zu haben glaubte. Ich verließ es nicht ohne die Erde und die Bäume zu küssen und ohne mich, als ich endlich aufbrach, mehrmals umzukehren. Da ich meine Schülerinnen schon längst entlassen und mein Gefallen an den Vergnügungen und Gesellschaften der Stadt verloren hatte, ging ich nicht mehr aus und sah niemand mehr, ausgenommen Mama und einen Herrn Salomon, der seit kurzem ihr und mein Arzt geworden war, einen ehrlichen geistreichen Mann und großen Cartesianer, der über das Weltsystem recht anregend zu sprechen verstand und dessen angenehme und lehrreiche Gespräche ich höher schätzte als alle seine Verordnungen. Das alberne und inhaltslose Geplauder gewöhnlicher Unterhaltungen habe ich nie ausstehen können; aber nützliche und gehaltvolle Unterhaltungen haben mir stets große Freude gemacht, und ich habe mich ihnen nie entzogen. Ich fand an den Gesprächen mit Herrn Salomon großes Gefallen; mich schien bei ihm schon ein Hauch jenes hohen Wissens zu umwehen, welches sich meine Seele, wenn sie ihre Fesseln abgestreift haben würde, dereinst erwerben sollte. Dieses Gefallen an ihm erstreckte sich auch auf die Gegenstände, die er erörterte, und ich begann mich um die Bücher zu bemühen, welche mir dazu behilflich sein konnten, ihn besser zu verstehen. Die, in welchen das Wissenschaftliche mit frommem Sinne behandelt wurde, waren mir die liebsten; der Art waren besonders die des Oratoriums und von Port-Royal. Ich fing an sie zu lesen oder vielmehr zu verschlingen. Unter andern fiel mir eines in die Hände, welches der Pater Lami unter dem Titel »Gespräche über die Wissenschaften« herausgegeben hatte. Es war eine Art Einleitung in die Kenntnis wissenschaftlicher Werke. Ich las es und las es hundertmal wieder; ich

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