Rousseau's Bekenntnisse
einmal meine Sinnlichkeit durch den Anblick hübscher Frauen erregt fühlte.
Ihre Freigebigkeit hatte indessen meine kleine Ausstattung wieder in einen etwas besseren Zustand versetzt, allerdings nur in sehr bescheidener Weise und mit der Vorsicht einer klugen Frau, die mehr auf Reinlichkeit als auf Putz sah und wohl darauf ausging, mich vor Mangel zu schützen, aber nicht mit mir Staat zu machen. Der Anzug, den ich aus Genf mitgebracht hatte, war noch gut und tragbar; sie fügte nur einen Hut und etwas Wäsche hinzu. Ich hatte keine Manschetten; obgleich ich großes Verlangen nach ihnen trug, wollte sie mir keine geben. Sie begnügte sich damit, daß sie mich in den Stand setzte, mich reinlich zu kleiden, und das brauchte man mir, so lange ich vor ihr erschien, nicht erst anzuempfehlen.
Wenige Tage nach dem traurigen Ausgange meines Abenteuers erzählte mir meine Wirthin, die, wie gesagt, sich meiner freundschaftlich angenommen, daß sie vielleicht eine Stelle für mich gefunden hätte und eine adlige Dame mich zu sehen wünschte. Bei diesem Worte wähnte ich mich schon in vollem Ernste in lauter großartige Abenteuer verwickelt, denn darauf kam ich immer wieder zurück. Das in Rede stehende stellte sich nicht als so glänzend heraus, wie ich mir vorgestellt hatte. Ich war bei dieser Dame mit dem Diener, der sie auf mich aufmerksam gemacht hatte. Sie fragte mich aus und nahm mich in Augenschein, und ich trat auf der Stelle bei ihr in Dienst, aber keineswegs in der Eigenschaft eines Günstlings, sondern in der eines Lakaien. Ich wurde in die Livrée ihrer Leute gekleidet; der einzige Unterschied bestand darin, daß sie die Achselschnur trugen, während man sie mir nicht gab. Da die Livréen ohne Tressen waren, glichen sie fast vollkommen der bürgerlichen Tracht. Das war das unerwartete Ende, auf welches schließlich alle meine großen Hoffnungen hinaus liefen.
Die Frau Gräfin von Bercellis, bei der ich in Dienst trat, war eine kinderlose Wittwe; ihr Mann war Piemontese gewesen; sie selbst habe ich stets für eine Savoyardin gehalten, da ich mir nicht denken konnte, daß eine Piemontesin so gut französisch redete und eine so reine Aussprache hätte. Sie befand sich in mittleren Jahren, war eine sehr edle Erscheinung und hatte einen gebildeten Geist, was ihre Liebe zu der französischen Literatur und ihre Kenntnis derselben bewies. Sie schrieb viel und immer nur in französischer Sprache. Ihre Briefe hatten den Stil und fast den Reiz derjenigen der Frau von Sévigné; man hätte einige mit solchen verwechseln können. Mein Hauptgeschäft, welches mir nicht mißfiel, war, sie nach ihrem Dictat zu schreiben, da ein Brustkrebs, der ihr viel Schmerzen bereitete, ihr nicht mehr gestattete, selbst zu schreiben.
Frau von Bercellis hatte nicht allein viel Geist, sondern auch eine erhabene und starke Seele. Ich bin während der ganzen Dauer ihrer Krankheit um sie gewesen. Ich habe gesehen, wie sie litt und starb, ohne je einen Augenblick der Schwäche zu zeigen, ohne sich je den geringsten Zwang aufzuerlegen, ohne je die Weiblichkeit zu verläugnen und ohne zu ahnen, daß dazu Philosophie erforderlich wäre, ein Wort, welches noch gar nicht in der Mode war und das sie nicht einmal in der heute damit verbundenen Bedeutung kannte. Diese Charakterstärke grenzte mitunter an Härte. Es ist mir immer so vorgekommen, als ob sie für Andere eben so wenig Gefühl hätte wie für sich selbst, und wenn sie Unglücklichen Gutes erwies, so geschah es eher, um Gutes an sich zu thun, als aus wirklichem Erbarmen. Während der drei Monate, die ich bei ihr zubrachte, habe ich von dieser Gefühllosigkeit auch etwas zu erfahren bekommen. Es war natürlich, daß sie einen jungen Mann, von dem sich etwas hoffen ließ und den sie fortwährend unter den Augen hatte, lieb gewann, und daß sie im Angesichte des Todes daran dachte, er würde nach ihrem Abscheiden Hilfe und Beistand bedürfen. Dessen ungeachtet that sie nichts für mich, sei es nun, daß sie mich einer besonderen Beachtung nicht für würdig hielt, oder daß ihre Umgebung, die sie förmlich umlagert hielt, ihre Gedanken nur auf sich lenkte.
Indessen erinnere ich mich sehr wohl, daß sie einige Neugier bekundet hatte, mich kennen zu lernen. Sie richtete mitunter Fragen an mich; es machte ihr Freude, wenn ich ihr die Briefe zeigte, die ich an Frau von Warens schrieb, und ihr meine Gefühle schilderte; aber sie griff es fürwahr nicht geschickt an, sie vollkommen kennen zu lernen,
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