Rousseau's Bekenntnisse
erinnere mich auch sehr wohl, daß seine ehrbare Vertraulichkeit mit Zeichen der Achtung und sogar der Hochachtung für sein Beichtkind verbunden war, die damals weniger Eindruck auf mich machten, als sie es jetzt thun. Hätte ich mehr Einsicht besessen, wie rührend hätte es dann für mich sein müssen, daß ich fähig gewesen war, einer von ihrem Beichtvater hochgeschätzten Frau ein Gefühl eingeflößt zu haben.
Der Tisch war für die Zahl der Gäste nicht groß genug; ein kleiner mußte zu Hilfe genommen werden, an dem mir ein angenehmes Zusammensein mit dem Herrn Ladendiener beschieden war. In Bezug auf die Aufmerksamkeiten und gute Bissen kam ich dabei nicht zu kurz; viele Teller wurden zu dem kleinen Tische hingeschickt, die sicherlich nicht für meinen Tischgenossen bestimmt waren. Bis dahin ging alles sehr gut; die Frauen waren sehr heiter, die Männer sehr galant; Frau Basile machte mit reizender Anmuth die Wirthin. Mitten im Mahle hört man einen Wagen vor der Thüre halten. Jemand steigt die Treppe herauf, es ist Herr Basile. Ich habe ihn noch vor Augen, als träte er jetzt eben ein, in scharlachrothem Rocke mit goldenen Knöpfen, eine Farbe, vor der ich seit jenem Tage den höchsten Abscheu habe. Herr Basile war ein großer und schöner Mann, der sich sehr gut ausnahm. Er tritt geräuschlos herein, mit der Miene eines Menschen, der die Seinen auf der That ertappt, obgleich die Gesellschaft nur aus seinen Freunden bestand. Seine Frau fällt ihm um den Hals, ergreift seine Hände, erweist ihm tausend Liebkosungen, die er annimmt, ohne sie zu erwidern. Er begrüßt die Gesellschaft, man gibt ihm ein Gedeck, er ißt. Kaum hatte man angefangen von seiner Reise zu sprechen, als er mit einem Blicke auf die kleine Tafel mit strengem Tone fragt, wer der junge Mensch sei, den er dort bemerke. Frau Basile sagt es ihm ganz unbefangen. Er fragt, ob ich im Hause wohne. Man verneint es. Weshalb nicht? erwidert er barsch; wenn er sich hier den Tag über aufhält, kann er eben so gut des Nachts dableiben. Der Mönch ergriff nun das Wort, und nach einem ernsten und aufrichtig gemeinten Lobe der Frau Basile, sprach er sich in wenigen Worten belobigend über mich aus, indem er hinzufügte, daß sich Herr Basile, statt die fromme Mildthätigkeit seiner Frau zu tadeln, beeifern sollte, sich daran zu betheiligen, weil dabei nichts über die Grenzen des Erlaubten hinausginge. Der Gatte erwiderte in einem Tone von Verdruß, den er jedoch in der Gegenwart des Mönches nur halb zu zeigen wagte. Was er aber sagte, war hinreichend, um mich zu überzeugen, daß ihm Mittheilungen über mich zugekommen waren und mir der Ladendiener auf seine Weise einen Dienst geleistet hatte.
Kaum war die Tafel aufgehoben, als dieser, von seinem Herrn gesandt, im Triumphe kam, um mich in dessen Namen aufzufordern, sofort sein Haus zu verlassen und es nie in meinem Leben wieder zu betreten. Er würzte seinen Auftrag mit allem, was ihn beleidigend und grausam machen konnte. Ich ging, ohne ein Wort zu sagen, aber mit tief betrübtem Herzen, weniger aus Kummer über die Trennung von dieser liebenswürdigen Frau als aus Schmerz darüber, daß ich sie der Rohheit ihres Gatten zur Beute lassen mußte. Er hatte unzweifelhaft Recht, nicht zu wollen, daß sie ihm untreu wurde; aber obgleich sittsam und von guter Familie war sie doch Italienerin, das heißt reizbar und rachsüchtig; er hatte, wie mir scheint, deshalb Unrecht, ihr gegenüber die Mittel anzuwenden, welche gerade am geeignetsten sind, das Uebel, welches er befürchtete, herbeizuziehen.
So war der Ausgang meines ersten Liebesverhältnisses. Ich wagte zwei- oder dreimal durch die Straße, in der Basile wohnte, zu gehen, um die, nach der mein Herz sich unaufhörlich sehnte, wenigstens wiederzusehen; aber statt ihrer gewahrte ich nur einen Mann und den wachsamen Ladendiener, der, sobald er mich bemerkt hatte, mit der Elle eine mehr deutliche als anlockende Bewegung machte. Da ich sah, wie man mir beständig aufpaßte, verlor ich den Muth und ging nicht mehr vorüber. Nun wollte ich wenigstens den Beschützer, den sie mir verschafft hatte, aufsuchen. Unglücklicherweise wußte ich seinen Namen nicht. Ich wanderte mehrere Male um das Kloster herum, um ihm vielleicht zu begegnen, aber vergebens. Endlich schwächten andere Ereignisse das bezaubernde Andenken an Frau Basile, und binnen kurzem vergaß ich sie so vollkommen, daß ich, noch eben so einfältig und eben so uneingeweiht wie zuvor, nicht
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