Rousseau's Bekenntnisse
da sie mir nie die ihrigen mittheilte. Mein Herz schüttete sich gern aus, sobald es überzeugt war, daß es ein anderes fand. Trocknes und kaltes Ausfragen ohne ein Zeichen von Zustimmung oder Tadel erweckten nicht mein Vertrauen. Wenn mir nichts verrieth, ob mein Geschwätz gefiel oder mißfiel, schwebte ich immer in Angst und suchte weniger das, was ich dachte, klar zu machen, als nichts zu sagen, was mir schaden könnte. Später habe ich die Bemerkung gemacht, daß diese trockene Frageweise, um die Leute auszuforschen, bei Frauen, die sich auf ihren Geist etwas einbilden, ziemlich allgemein im Schwange ist. Sie leben in dem Wahne, daß, wenn sie mit ihrer eigenen Gesinnung zurückhalten, es ihnen desto besser gelingen werde, die eurige zu durchschauen; allein sie sehen nicht ein, daß sie dadurch gerade den Muth nehmen, sie zu zeigen. Ein Mann, den man ausfragt, fängt lediglich schon aus diesem Grunde an, auf seiner Hut zu sein; und wenn er glaubt, daß man, ohne wirkliche Theilnahme für ihn zu hegen, nur darauf ausgeht, ihn zum Ausplaudern zu bringen, so lügt er oder schweigt, oder ist noch einmal so achtsam auf sich, und will lieber für einen Dummkopf gelten als sich einer Neugierde zum Spielballe hergeben. Kurz, will man in dem Herzen Anderer lesen, so giebt es kein untauglicheres Mittel, als sein eigenes zu verschließen.
Frau von Bercellis hat nie ein Wort zu mir gesagt, in dem sich Güte, Theilnahme, Wohlwollen zu erkennen gab. Sie fragte mich frostig aus, ich antwortete zurückhaltend. Meine Antworten waren so schüchtern, daß sie sie trivial finden und sich dabei langweilen mußte. Schließlich unterwarf sie mich keinem Verhöre mehr und redete mit mir nur so viel, als der Dienst erforderte. Sie beurtheilte mich weniger nach dem, was ich war, als nach dem, was sie aus mir gemacht hatte, und da sie in mir nichts als einen Lakai sah, machte sie es mir unmöglich, ihr als etwas Anderes zu erscheinen.
Ich glaube, daß sich das tückische Spiel des verhüllten Eigennutzes, das mein ganzes Leben durchkreuzt und mir einen sehr natürlichen Widerwillen gegen die scheinbar dadurch bewirkte Ordnung eingeflößt hat, schon damals an mir fühlbar machte. Da Frau von Vercellis kinderlos war, hatte sie ihren Neffen, den Grafen della Rocca, der ihr unablässig den Hof machte, zum Erben. Außerdem vergaßen sich ihre Hauptdiener nicht, welche sahen, daß ihr Ende nahe war, und so drängten sich so viele an sie heran, daß sie schwerlich Zeit hatte, an mich zu denken. An der Spitze ihres Hauswesens stand ein Herr Lorenzi, ein gewandter und listiger Mann, dessen noch listigere Frau sich bei ihrer Herrin so in Gunst gesetzt hatte, daß sie bei ihr eher die Stellung einer Freundin als einer bezahlten Dienerin einnahm. Als Kammerfrau hatte ihr dieselbe eine Nichte, Jungfer Pontal genannt, gegeben, eine schlaue Aufpasserin, die die Rolle eines Ehrenfräuleins spielte und ihrer Tante beistand, die Herrin so vollkommen zu umgarnen, daß diese nur durch ihre Augen sah und durch ihre Hände handelte. Ich hatte nicht das Glück, diesen drei Personen zu gefallen; ich gehorchte ihnen, diente ihnen aber nicht; ich glaubte nicht, daß ich über den Dienst unserer gemeinsamen Herrin hinaus noch der Diener ihrer Diener sein müßte. Ueberdies war ich für sie eine gewissermaßen beunruhigende Persönlichkeit. Sie sahen recht gut, daß ich nicht an meinem Platze war; sie befürchteten, die Gebieterin könnte es ebenfalls bemerken und ihr Antheil durch die Bemühung derselben mir die gebührende Stellung einzuräumen, geschmälert werden; denn zu habsüchtig, um gerecht zu sein, betrachtet diese Art von Leuten alle Legate an Andere als eine Verkürzung ihres eigenen Vermögens. Sie verbanden sich deshalb, mich den Augen der Herrin zu entziehen. Sie schrieb gern Briefe; in ihrem Zustande war es für sie ein Zeitvertreib: sie verleideten es ihr und ließen sie durch den Arzt davon abbringen, indem ihr derselbe vorstellte, daß es sie ermüdete. Unter dem Vorwande, daß ich den Dienst nicht verstände, wurden statt meiner zwei plumpe Lümmel von Sänfteträgern um sie beschäftigt, kurz, man richtete es so geschickt ein, daß, als sie ihr Testament machte, ich schon seit acht Tagen ihr Zimmer nicht betreten hatte. Allerdings wurde ich darauf wie zuvor zu ihr gelassen und war sogar öfter um sie als irgend jemand anders, denn die Schmerzen dieser armen Frau zerrissen mir das Herz; die Standhaftigkeit, mit der sie sie ertrug, machten sie
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