Rousseau's Bekenntnisse
Augenblick dazu zu finden, und ich bemerkte von ihrer Seite durchaus kein Bestreben, ihn geschickt herbeizuführen. Sogar ihr Benehmen gegen mich war, wenn auch nicht kälter, so doch zurückhaltender als gewöhnlich, und ich glaube, daß sie meine Blicke nur aus Furcht vermied, die ihrigen nicht hinreichend beherrschen zu können. Ihr verwünschter Ladendiener war widerwärtig als je; er erlaubte sich sogar allerlei Spöttereien und Späße und sagte zu mir, ich würde bei den Damen Glück machen. Ich zitterte, irgend eine Unbesonnenheit begangen zu haben, und da ich schon mit ihr im Einverständnisse zu sein wähnte, ließ ich es mir angelegen sein, eine Neigung zu verschleiern, die bis dahin der Heimlichkeit nicht sehr bedurft hatte. Dies machte mich vorsichtiger und hielt mich ab, unbedacht nach Gelegenheiten zu ihrer Befriedigung zu haschen, und so fand ich schließlich gar keine mehr, da ich nur ganz sichere suchte.
Das ist noch eine zweite wunderliche Narrheit, von der ich mich nie habe heilen können, und die im Verein mit meiner natürlichen Blödigkeit die Voraussagung des Ladendieners arg Lügen gestraft hat. Ich liebte zu aufrichtig, ja ich wage zu behaupten, ich ging zu sehr in der Liebe auf, um leicht glücklich zu sein. Nie waren Leidenschaften heftiger und doch zugleich reiner als die meinigen; nie war eine Liebe zärtlicher, wahrer, uneigennütziger. Ich würde mein Glück dem der Person, die ich liebte, tausendmal zum Opfer gebracht haben; ihr Ruf war mir theurer als mein Leben und um alle Freuden des Genusses hätte ich ihre Ruhe nicht einen Augenblick gefährden mögen. Um deswillen habe ich so viel Sorge, so viel Heimlichkeit, so viel Vorsicht in meine Liebesabenteuer hineingebracht, daß nie auch nur ein einziges zu einem glücklichen Ausgange hat führen können. Mein geringer Erfolg bei den Frauen ist immer nur daher gekommen, daß ich sie zu aufrichtig liebte.
Um auf den Flöte blasenden Aegisthos zurückzukommen, so war an ihm das Sonderbare, daß der verrätherische Wicht desto rücksichtsvoller zu werden schien, je unerträglicher er wurde. Von dem ersten Tage an, wo seine Dame mir ihr Wohlwollen zugewendet, hatte sie darauf gesonnen, mich im Laden nützlich zu machen. Ich war mit der Rechenkunst leidlich vertraut; sie hatte ihm den Vorschlag gemacht, mich in der Buchführung zu unterweisen, allein der Griesgram nahm den Vorschlag sehr übel auf, vielleicht aus Besorgnis verdrängt zu werden. Demnach bestand meine ganze Arbeit, außer der mit dem Grabstichel, in der Abschrift einiger Rechnungen und gerichtlicher Eingaben, in der Reinschrift einiger Bücher und in der Übersetzung einiger Geschäftsbriefe aus dem Italienischen in das Französische. Plötzlich kam es meinem Manne in den Sinn, auf den Vorschlag, den er erst abgelehnt hatte, zurückzukommen; er erklärte sich bereit, mich die doppelte Buchführung zu lehren und dahin zu bringen, daß ich dem Herrn Basile nach seiner Rückkunft meine Dienste anbieten könnte. In seinem Tone, in seiner Miene lag dabei etwas eigenthümlich Falsches, Boshaftes und Spöttisches, das mir durchaus kein Vertrauen einflößte. Ohne meine Antwort abzuwarten, erwiderte ihm Frau Basile trocken, daß sie hoffte, das Glück würde meinen Fähigkeiten endlich günstig sein, da es jedenfalls jammerschade wäre, wenn ich es bei so vielem Geist nur bis zum Ladendiener brächte.
Sie hatte mir mehrmals gesagt, daß sie die Absicht hätte, mich eine Bekanntschaft machen zu lassen, die mir nützlich sein könnte. Sie dachte verständig genug, um einzusehen, daß es Zeit wäre, mich von sich fern zu halten. Unsere stummen Erklärungen waren am Donnerstage vorgefallen. Am Sonntag gab sie ein Mittagessen, an dem außer mir und vielen andern auch ein Jakobinermönch von angenehmem Aeußern Theil nahm, dem sie mich vorstellte. Der Mönch bezeigte mir viel Freundlichkeit, wünschte mir zu meinem Uebertritte Glück und sagte mir mancherlei über meine Lebensschicksale, was mir deutlich zu erkennen gab, daß ihm Frau Basile dieselben ausführlich mitgetheilt hatte. Als er mir darauf noch zweimal die Backe geklopft hatte, sagte er zu mir, ich sollte verständig sein, guten Muth behalten und ihn besuchen, damit wir uns mit größerer Muße besprechen könnten. Aus der Ehrerbietung, die ihm jedermann erwies, schloß ich, daß er ein einflußreicher Mann sein mußte, und aus dem väterlichen Tone, den er Frau Basile gegenüber anschlug, daß er ihr Beichtvater war. Ich
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