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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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mir im hohen Grade achtungswerth und theuer, und ich habe in ihrem Zimmer aufrichtige Thränen vergossen, ohne daß sie oder jemand anders es bemerkte.
    Wir verloren sie endlich. Ich sah sie verscheiden. War ihr Leben das einer Frau von Geist und Verstand gewesen, so war ihr Tod der einer Weisen. Ich kann sagen, daß sie mir die katholische Religion durch die Seelenruhe, mit der sie die Anforderungen derselben ohne Gleichgiltigkeit und ohne erheuchelten Eifer erfüllte, lieb und werth machte. Von Natur war sie ernst. Gegen Ende ihrer Krankheit bemächtigte sich ihrer eine Art von Heiterkeit, die zu gleichmäßig war, um erkünstelt zu sein, und die nichts als ein ihr von der Vernunft verliehenes Gegengewicht gegen das Traurige ihres Zustandes war. Nur die zwei letzten Tage hütete sie das Bett und hörte nicht auf sich ruhig mit jedermann zu unterhalten. Als sie endlich schon nicht mehr sprechen konnte und mit dem Tode kämpfte, entfuhr ihr ein Wind. »Schön,« sagte sie, indem sie sich umwandte, »eine Frau, die Blähungen hat, ist noch nicht todt.« Dies waren die letzten Worte, die sie sprach.
    Sie hatte ihren unteren Dienstleuten einen Jahreslohn vermacht; da ich jedoch nicht in das Verzeichnis des Dienstpersonals eingetragen war, erhielt ich nichts. Gleichwohl befahl der Graf della Rocca mir dreißig Livres auszuzahlen und ließ mir auch den neuen Anzug, den ich täglich trug und den mir Herr Lorenzi nehmen wollte. Er versprach sogar, sich nach einer Stelle für mich umzusehen, und gestattete mir, zu ihm zu kommen. Ich suchte ihn zwei- oder dreimal auf, ohne ihn sprechen zu können. Ich war leicht zu entmuthigen und stand von weiteren Besuchen ab. Man wird bald sehen, daß es Unrecht von mir war.
    Ach, daß ich mit allem, was ich von meinem Aufenthalte bei Frau von Vercellis zu erzählen hatte, doch hiermit zu Ende wäre! Aber wenn mein Seelenzustand auch anscheinend unverändert blieb, so verließ ich ihr Haus doch nicht, wie ich in dasselbe eingetreten war. Ich nahm aus ihm die unauslöschliche Erinnerung an ein Verbrechen und das unerträgliche Gewicht der Reue mit fort, die noch immer, am Ende von vierzig Jahren auf meinem Gewissen lastet und deren Bitterkeit, statt abzunehmen, sich mit dem zunehmenden Alter unaufhörlich steigert. Wer sollte meinen, daß der Fehler eines Kindes so grausame Folgen haben könnte! Und gerade über diese mehr als blos wahrscheinlichen Folgen wird mein Herz sich nie zu trösten im Stande sein. Ich bin vielleicht die Ursache gewesen, daß ein liebenswürdiges, sittsames, achtbares Mädchen, das sicherlich viel mehr werth war als ich, in Schande und Elend untergegangen ist.
    Die Auflösung eines Haushaltes wird immer mit einiger Verwirrung und dem Verluste mancher Sachen verbunden sein. Gleichwohl war die Treue der Dienstleute und die Wachsamkeit des Herrn und der Frau Lorenzi so groß, daß von dem Inventarium nichts fortkam. Jungfer Pontal allein verlor ein kleines, schon altes, rosa- und silberfarbiges Band. Viele andere bessere Sachen waren mir zugänglich; dieses Band allein reizte mich, ich stahl es, und da ich es nicht sorgfältig verbarg, fand man es bald. Man wollte wissen, wo ich es genommen hatte. Ich werde verlegen, stottere und sage endlich erröthend, Marion habe es mir gegeben. Marion war ein junges, aus Maurienne stammendes Mädchen, das Frau von Vercellis zu ihrer Köchin erhoben hatte, als sie bei Verzicht auf alle Tafelfreuden ihre bisherige entließ, da sie mehr guter Suppen als feiner Ragouts bedurfte. Marion war nicht allein hübsch, sondern hatte auch eine Frische der Gesichtsfarbe, wie man sie nur im Gebirge findet, und besonders etwas so Sittsames und Sanftes, daß man sie nicht sehen konnte, ohne sie lieb zu gewinnen. Ueberdies war sie ein gutes, bescheidenes Mädchen und von erprobter Treue. Deshalb überraschte es, als ich sie angab. Da man mir nicht weniger Vertrauen schenkte als ihr, hielt man es für wichtig, festzustellen, wer von uns beiden der Dieb wäre. Man ließ sie kommen; die Versammlung war zahlreich, selbst der Graf della Rocca war zugegen. Sie erscheint, man zeigt ihr das Band; mit Frechheit klage ich sie an; sie wird betreten, schweigt und wirft mir einen Blick zu, der die Teufel würde entwaffnet haben, aber auf mein unmenschliches Herz ohne Eindruck bleibt. Sie läugnet endlich mit Festigkeit, aber ohne leidenschaftliche Heftigkeit, wendet sich an mich, ermahnt mich, in mich zu gehen, ein unschuldiges Mädchen, das mir nie etwas zu

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