Rousseau's Bekenntnisse
Sogar Frau von Breil hatte ihre verächtliche Miene gegen mich abgelegt. Kurz ich wurde eine Art Liebling im Hause, zu großer Eifersucht der übrigen Diener, die bei der Wahrnehmung, daß mir die Ehre zu Theil wurde, von dem Sohne ihres Herrn unterrichtet zu werden, sehr wohl einsahen, daß dies nicht geschah, um mich noch lange in einer der ihrigen gleichen Stellung zu erhalten.
So viel ich nach einigen flüchtig hingeworfenen Worten, über welche ich erst später nachgedacht, über die Absichten, die man mit mir hatte, zu urtheilen im Stande bin, will es mir scheinen, daß es der Familie Solar, die sich auf Gesandtschaftsposten und vielleicht sogar auch auf Ministerstellen Rechnung machte, sehr vorteilhaft vorgekommen war, sich im Voraus eine brauchbare und fähige Person heranzubilden, die bei ihrer völligen Abhängigkeit von ihr in der Folge ihr Vertrauen hätte erhalten und sich ihr nützlich erweisen können. Die Absicht des Grafen von Gouvon war edel, vernünftig, hochherzig und eines wohlthätigen Herrn, der die Zukunft im Auge hatte, wahrhaft würdig; aber abgesehen davon, daß ich damals nicht ihre ganze Tragweite überschaute, war sie für meinen Kopf auch viel zu vernünftig und verlangte eine zu lange Unterwürfigkeit. Mein toller Ehrgeiz suchte das Glück nur auf dem Wege der Abenteuer; und da ich keine Frau dabei im Spiele sah, so schien mir diese Art, zum Ziele zu gelangen, langsam, mühevoll und freudlos, obwohl ich sie gerade für um so ehrenvoller und sicherer hätte halten sollen, weil die Frauen mit ihr nichts zu thun hatten, indem die Art von Verdienst, welcher sie ihren Schutz angedeihen lassen, sicherlich sich nicht mit dem messen kann, das man bei mir voraussetzte.
Alles ging prächtig. Ich hatte mir jedermanns Achtung erworben, ja fast jedermann abgezwungen; die Prüfungszeit war zu Ende, und man betrachtete mich im Hause allgemein als einen jungen Mann von den größten Hoffnungen, der sich nicht auf dem rechten Platze befände und den man auf denselben gelangen zu sehen erwartete. Aber mein Platz war nicht der mir von Menschen angewiesene, und ich sollte ihn auf ganz anderen Wegen erreichen. Ich spiele auf einen jener charakteristischen Züge an, die mir eigen sind, und auf die es den Leser hinzuweisen genügt, ohne irgend eine Bemerkung hinzuzufügen.
Obgleich es in Turin viele Neubekehrte meiner Art gab, liebte ich sie nicht und hatte nie einen derselben sehen wollen. Dagegen hatte ich einige Genfer, die ihrem Glauben treu geblieben waren, kennen gelernt, unter anderm einen Herrn Mussard, mit dem Beinamen Schiefmaul, einen Miniaturmaler und weitläufigen Verwandten von mir. Dieser Mussard kundschaftete meinen Aufenthalt bei dem Grafen von Gouvon aus und besuchte mich daselbst mit einem andern Genfer, Namens Bâcle, dessen Kamerad ich während meiner Lehrzeit gewesen war. Dieser Bâcle war ein sehr unterhaltender, sehr heiterer Bursche voller spaßhafter Einfälle, die sein Alter angenehm machte. Und mit einem Male schwärmte ich für Herrn Bâcle, und schwärmte gleich dermaßen für ihn, daß ich nicht mehr von ihm lassen konnte. Er war Willens, binnen kurzem seine Rückreise nach Genf anzutreten. Was für ein Verlust mußte das für mich werden! Ich fühlte seine ganze Größe nur allzu sehr. Um wenigstens die mir noch übrig gelassene Zeit auszunutzen, trennte ich mich nicht mehr von ihm, oder er trennte sich vielmehr nicht von mir, denn zuerst schwindelte mir der Kopf noch nicht bis zu dem Grade, daß ich den Tag ohne Erlaubnis außerhalb des Palastes bei ihm zugebracht hätte. Als man sich jedoch bald überzeugte, daß er mich vollkommen umlagerte, verbot man ihm die Thür, und ich gerieth darüber dergestalt in Hitze, daß ich über meinen Freund Bâcle alles vergaß, weder dem Abbé noch dem Grafen meine Aufwartung machte, und man mich im Hause nie mehr sah. Man machte mir Vorwürfe, aber ich nahm sie nicht zu Herzen. Man drohte, mich zu verabschieden. Diese Drohung wurde mein Untergang. Sie zeigte mir die Möglichkeit, Bâcle's Reisegefährte werden zu können. Von jetzt an kannte ich kein anderes Vergnügen, kein anderes Lebensglück, keine andere Seligkeit mehr, als das, eine gleiche Reise zu machen, und ich sah dabei nur das Wonnige der Reise, an deren Ziele sich mir noch obendrein Frau von Warens, wenn auch in unermeßlicher Ferne zeigte; denn nach Genf zurückzukehren, hatte ich nie im Sinne. Berge, Wiesen, Haine, Bäche, Dörfer schwebten in endloser Reihe und mit
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