Rousseau's Bekenntnisse
einige Bücher gefunden: den Spectator, Puffendorf, Saint-Evremond und die Henriade. Obgleich ich nicht mehr meine alte Lesewuth hatte, las ich, wenn ich unbeschäftigt war, doch in allen ein wenig. Namentlich der Spectator gefiel mir sehr und war für mich belehrend. Der Abbé von Gouvon hatte mich gelehrt, mit weniger Gier und mehr Ueberlegung zu lesen; in Folge dessen brachte mir jetzt das Lesen größeren Nutzen. Ich gewöhnte mich über den Stil, über den eleganten Satzbau nachzudenken; ich übte mich, das reine Französisch von der Volkssprache und den landschaftlichen Dialekten zu unterscheiden. Ueber einen orthographischen Fehler, den ich mit all unsern Genfern machte, wurde ich zum Beispiel durch folgende beide Verse der Henriade belehrt:
Soit qu'un ancien respect pour le sang de leurs maîtres Parlât encore pour lui dans le coeur de ces traîtres
Dieses Wort parlât , welches mir auffiel, machte mich darauf aufmerksam, daß die dritte Person des Subjonctif mit einem t geschrieben werden mußte, während ich es vorher parla wie das Parfait des Indicatif schrieb und aussprach.
Mitunter plauderte ich mit Mama über das Gelesene; hin und wieder las ich ihr vor, was mir große Freude machte; ich gab mir Mühe, gut zu lesen, und das war mir ebenfalls nützlich. Ich habe bereits gesagt, daß sie Kenntnisse besaß, hierbei zeigten sich dieselben im vollen Lichte. Einige Gelehrte hatten sie umschwärmt und ihr den Hof gemacht; diese hatten sie gelehrt, sich über Erzeugnisse des Geistes ein Urtheil zu bilden. Sie besaß, wenn ich mich so ausdrücken darf, einen etwas protestantisch gefärbten Geschmack. Sie sprach nur von Bayle und schätzte Saint-Evremond, der in Frankreich längst todt war, überaus. Aber trotzdem kannte sie die gute Literatur und sprach über sie sehr richtig. Sie war in gewählten Gesellschaften aufgewachsen und hatte, da sie schon in jungen Jahren nach Savoyen gekommen war, in dem anregenden Umgange mit dem dortigen Adel jenen gezielten Ton des Waadtlandes verloren, wo die Frauen das Geistreichthum für Weltton halten und nur in Epigrammen zu reden wissen.
Obgleich sie den Hof nur flüchtig gesehen, hatte sie doch einen raschen Blick auf ihn geworfen, der für sie ausreichend gewesen war, ihn kennen zu lernen. Sie erhielt sich an ihm immer Freunde, und trotz geheimer Eifersüchteleien, trotz der Unzufriedenheit, welche ihre Aufführung und ihre Schulden erregten, hat sie ihre Pension nie verloren. Sie hatte Welterfahrung und die Denkkraft, welche dazu gehört, um aus dieser Erfahrung Nutzen zu ziehen. Das Treiben in der Welt war der Lieblingsgegenstand ihrer Gespräche und bei den phantastischen Vorstellungen, die mich erfüllten, bedurfte ich gerade dieser Art des Unterrichtes am meisten. Wir lasen zusammen La Bruyère; er gefiel ihr besser als La Rochefoucauld, ein trauriges und trostloses Buch, besonders wenn man es in der Jugend liest, wo man es nicht liebt, den Menschen zu sehen, wie er ist. Wenn sie moralisierte, schweifte sie bisweilen ein wenig ab; indem ich ihr jedoch von Zeit zu Zeit den Mund oder die Hände küßte, gewann ich Geduld, und ihre Weitschweifigkeit langweilte mich nicht.
Dieses Leben war zu süß, um dauern zu können. Ich fühlte es, und die unruhige Besorgnis, es enden zu sehen, was das Einzige, was den Genuß desselben trübte. Trotz all ihrer mutwilligen Scherze studirte mich Mama, beobachtete mich, forschte mich aus, entwarf für meine Zukunft eine Menge Pläne, auf die ich gern verzichtet hätte. Glücklicherweise war noch nicht alles damit abgemacht, meine Neigungen, meinen Trieb, meine kleine Anlagen zu kennen; man mußte auch die Gelegenheiten zu ihrer Verwerthung finden oder herbeiführen, und das alles war nicht das Werk eines Tages. Sogar die günstigen Vorurtheile, welche die arme Frau von meiner Befähigung gefaßt hatte, verzögerten den Augenblick, sie zur Geltung zu bringen, weil sie sich mit Rücksicht auf dieselben um so weniger über die Wahl der dazu erforderlichen Mittel entschließen konnte. Kurz es ging alles nach meinen Wünschen, Dank der guten Meinung, die sie von mir hatte; aber sie sollte bald umschlagen, und von da an war es mit meiner Ruhe vorbei. Einer ihrer Verwandten, ein Herr von Aubonne, besuchte sie. Es war ein sehr geistreicher, ränkevoller Mann, der sich wie sie ewig mit Projekten trug, aber ohne sich dabei zu Grunde zu richten, eine Art Abenteurer. Er hatte dem Cardinal Fleury einen verwickelten Plan zu einer Lotterie
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