Rousseau's Bekenntnisse
Abhängigkeit zusammenhängt, aber die Nothwendigkeit, unter allen Umständen zu reden, genügt vollkommen, um mir unfehlbar eine Dummheit zu entlocken.
Noch unseliger ist es, daß trotz des richtigen Gefühls, mich schweigend verhalten zu müssen, wenn ich nichts zu sagen habe, mich förmlich die Wuth zu sprechen überfällt, um meine Schuld dadurch gleichsam schneller abzutragen. Ich stottere in größter Hast einige gedankenlose Worte hervor, mit denen sich im glücklichsten Falle gar kein Sinn verbinden läßt. Durch mein Bestreben, meine Albernheit zu besiegen oder zu verdecken, bringe ich sie gewöhnlich erst recht zu Tage. Unter tausend Beispielen, die ich anführen könnte, will ich nur eines herauswählen, welches nicht aus meiner Jugend stammt, sondern aus einer Zeit, in der ich mir die Ungezwungenheit und den Ton der Welt, in welcher ich bereits einige Jahre gelebt hatte, angeeignet haben sollte, wenn es möglich gewesen wäre. Ich befand mich eines Abends in der Gesellschaft zweier vornehmer Damen und eines Herrn, dessen Name Klang hat, nämlich des Herzogs von Gontaut. Keine andere Person befand sich in dem Zimmer, und ich bemühte mich zu einer Unterhaltung zwischen vier Personen, von denen drei meiner Beihilfe sicherlich nicht bedurften, einige Worte, Gott weiß welche, beizutragen. Die Frau des Hauses ließ sich ein Opiat bringen, welches sie für ihren Magen täglich zweimal einnahm. Als die andere Dame sie das Gesicht verziehen sah, fragte sie lächelnd: »Rührt das Opiat von Herrn Tronchin her?« – »Ich meine nicht,« erwiderte erstere in dem nämlichen Tone. »Ich glaube, es ist auch nicht besser,« fügte der geistreiche Rousseau galant hinzu. Alle wurden bestürzt. Kein Wort wurde gesprochen, kein Lächeln zeigte sich, und einen Augenblick später nahm das Gespräch eine andere Wendung. Einer Andern gegenüber wäre diese Dummheit nur lächerlich gewesen; aber an eine Dame gerichtet, die zu liebenswürdig war, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben, und die ich sicherlich nicht beleidigen wollte, war sie geradezu schrecklich; und ich glaube, daß die beiden Zeugen, der Mann sowohl wie die Frau, große Mühe hatten, ihren Unwillen gegen mich nicht sichtbar werden zu lassen. Solche geistreiche Dinge bringe ich zu Wege, wenn ich reden will, ohne daß ich etwas zu sagen habe. Ich werde die erzählte Anekdote nicht leicht vergessen, denn sie ist nicht allein an sich sehr merkwürdig, sondern ich bilde mir auch ein, daß sie Folgen nach sich gezogen hat, die mich nur zu oft an sie erinnern.
Das wird, denke ich, genügen, um verständlich zu machen, wie ich, ohne ein Dummkopf zu sein, doch oft für einen solchen gehalten worden bin, selbst von Leuten, die fähig waren, ein richtiges Urtheil zu fällen. Ihre Ansicht über mich ist um so ungünstiger, als meine Züge und meine Augen mehr versprechen, und deshalb die getäuschte Erwartung meine Dummheit nur in einem noch grelleren Lichte sieht. Diese ausführliche Charakteristik, zu der mich eine besondere Veranlassung gezwungen hat, ist zum Verständnisse des Folgenden nicht unnütz. Sie enthält den Schlüssel zu vielen Seltsamkeiten, die man mich hat thun sehen, und die man einer menschenscheuen Gemüthsstimmung zuschreibt, die mir nicht eigen ist. Ich würde den geselligen Verkehr wie jeder Andere lieben, wenn ich nicht überzeugt wäre, mich darin nicht allein zu meinem Nachtheile, sondern auch ganz anders zu zeigen, als ich bin. Mein Entschluß zu schreiben und mich zurückzuziehen ist gerade der für mich passendste. Durch mein Hervortreten in die Öffentlichkeit hätte man nie meinen Werth erkannt, ja nicht einmal geahnt. So ist es der Frau Dupin ergangen, obgleich sie eine Frau von Geist ist und ich mehrere Jahre in ihrem Hause gelebt habe; sie hat es mir nachher oft genug selbst gesagt. Uebrigens erleidet dies alles gewisse Ausnahmen, auf welche ich in der Folge zurückkommen werde. [Fußnote: Eine dieser Ausnahmen werden wir bald in dem nächsten Buche kennen lernen, wo er berichtet, wie er in einer Audienz, die er mit dem Archimandriten, welchem er sich als Dolmetscher angeschlossen, bei dem Berner Senate hatte, sich gezwungen sah, auf der Stelle und ohne sich darauf vorbereitet zu haben, den Zweck und die Beweggründe seiner Sendung auseinander zu setzen. Man weiß außerdem, daß er in Gesellschaften, sobald ihn der Gegenstand des Gespräches lebhaft interessirte, und namentlich wenn er der freundlichen Gesinnungen
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