Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
zuschreiben können.
    Mehr als dreißig Jahre später, als ich die »Briefe vom Berge« herausgegeben hatte, entdeckte Fréron auf eine mir unbekannte Weise dieses Zeugnis und machte in den ihm zur Verfügung stehenden Blättern davon Gebrauch. Man muß gestehen, daß es eine glückliche Entdeckung war, und daß sie zu so gelegener Zeit eintrat, erschien mir selbst sehr drollig.
    Es war meine Bestimmung, von allen Ständen zurückgewiesen zu werden. Obgleich Herr Gâtier den am wenigsten ungünstigen Bericht, wie er nur irgend möglich war, über meine Fortschritte gemacht hatte, so sah man doch ein, daß sie mit meinen Anstrengungen nicht im Einklange standen, und das war nicht ermuthigend, mich meine Studien weiter treiben zu lassen. Auch verloren der Bischof und der Superior den Muth und gaben mich der Frau von Warens als einen Menschen zurück, der es nicht einmal zum Priester bringen könnte; im Uebrigen erklärte man mich für einen gutmüthigen und gutgearteten Burschen, und um deswillen verließ sie mich nicht trotz so vieler ungünstiger Urtheile über mich.
    Im Triumph brachte ich das Notenbuch zurück, welches mir so großen Nutzen gebracht hatte. Meine Arie aus Alpheus und Arethusa war so ziemlich das Einzige, was ich im Seminar gelernt hatte. Mein sichtlicher Trieb zu dieser Kunst rief den Gedanken in ihr wach, einen Musiker aus mir zu machen. Die Gelegenheit war günstig; es wurde wenigstens einmal in der Woche bei ihr musicirt, und der Kapellmeister des Domes, der diese kleinen Concerte leitete, besuchte sie häufig. Es war ein Pariser, Namens Le Maître, ein guter Componist, sehr lebhaft, sehr fröhlich, noch jung, von leidlichem Aeußern und geringer Begabung, aber sonst ein ganz guter Mensch. Mama machte mich mit ihm bekannt; ich gewann ihn lieb und mißfiel ihm meinerseits nicht; man besprach sich über das Kostgeld und einigte sich darüber. Kurz, ich trat bei ihm ein und brachte den Winter um so angenehmer zu, als seine Amtswohnung nur zwanzig Schritt von Mama's Hause entfernt war; wir konnten in einem Augenblicke zu ihr herüber und aßen des Abends sehr häufig mit ihr zusammen.
    Man kann sich vorstellen, daß mir das stets unter Gesang zugebrachte und lustige Leben im Hause meines Lehrers im Verkehre mit den Musikern und Chorknaben mehr zusagte, als das im Seminar bei den Vätern des heiligen Lazarus. Allein trotz der größeren Freiheit war dieses Leben gleichwohl nicht weniger regelmäßig und geordnet. Ich war geschaffen, die Unabhängigkeit zu lieben und nie zu mißbrauchen. Während voller sechs Monate ging ich nur aus, um Mama oder die Kirche zu besuchen, und fühlte mich zu anderen Gängen auch gar nicht versucht. Diese Zeit ist die, wo ich am ruhigsten gelebt habe und deren ich mich mit der größten Freude erinnere. Von den verschiedenen Lebenslagen, in denen ich mich befunden, haben sich einige durch ein solches Gefühl von Wohlsein ausgezeichnet, daß mich in der Erinnerung an sie das gleiche Behagen beschleicht, von dem ich damals ergriffen war. Nicht allein erinnere ich mich der Augenblicke, der Orte, der Personen, sondern auch aller damit in Verbindung stehender Umstände, der Temperatur der Luft, des Duftes, der Farbe, eines gewissen Lokaleindruckes, der sich nur dort wahrnehmbar machte und bei dessen Erinnerung ich mich wieder in die gleiche Lage zurückversetzt fühle. Alles zum Beispiel, was man in der Kapellmeisterei einübte, alles, was man im Chor sang, alles, was man darin vornahm, die schöne würdevolle Tracht der Domherren, die Meßgewänder der Priester, die Kopfbinden der Sänger, das Aeußere der Musiker, ein alter hinkender Zimmermann, der den Contrebaß, und ein kleiner blonder Abbé, der die Geige spielte, die zerfetzte Soutane, welche Le Maître, sobald er seinen Degen abgelegt hatte, über seine Laientracht zog, und das schöne feine Chorhemd, mit dem er die Löcher derselben bedeckte; der Stolz, mit dem ich, meine kleine Flöte in der Hand, auf die Empore ging und meinen Platz unter dem Orchester einnahm, um eines kleinen Solos willen, welches Herr Le Maître besonders für mich gesetzt hatte, das gute Essen, welches unser darauf wartete, und der gute Appetit, den wir dazu mitbrachten: das alles hat, wenn es wieder lebhaft vor meine Seele tritt, mich in der Erinnerung hundertmal in gleiches, wenn nicht noch größeres Entzücken als in der Wirklichkeit versetzt. Ich habe immer eine zärtliche Vorliebe für eine gewisse Melodie aus conditor alme siderum , die

Weitere Kostenlose Bücher