Rousseau's Bekenntnisse
Besprechung desselben durch eine spaßhafte Bemerkung störte, die Lachen erregte und das Gesagte in Vergessenheit brachte. Es war Sonnabend, am folgenden Tage war Musikaufführung im Dome. Herr Le Maître schlägt ihm vor, dabei zu singen. »Sehr gern.« Auf die Frage, was für eine Stimme er singe, antwortet er »den Alt«, und redet von andern Dingen. Ehe wir uns in die Kirche begaben, bot man ihm seine Stimme zur Durchsicht an; er sah sie mit keinem Auge an. Dieses prahlerische Auftreten überraschte Le Maître. »Du sollst sehen,« flüsterte er mir ins Ohr, »daß er nicht eine einzige Note kennt.« »Ich fürchte sehr,« erwiderte ich ihm und folgte ihnen in großer Unruhe. Als man begann, schlug mir das Herz mit furchtbarer Gewalt, denn ich hatte großes Interesse für ihn gewonnen.
Bald überzeugte ich mich, daß ich ruhig sein könnte. Er sang seine beiden Solo vollkommen richtig und mit allem nur denkbaren Kunstsinn, und was noch mehr sagen will, mit einer sehr hübschen Stimme. Mir ist selten eine angenehmere Ueberraschung zu Theil geworden. Nach der Messe erntete Herr Venture von den Domherren wie von den Musikern Glückwünsche und Schmeicheleien ohne Ende, auf die er in seiner scherzhaften Weise, aber stets mit vielem Anstande antwortete. Herr Le Maître umarmte ihn sehr herzlich; ich machte es eben so. Er sah, daß ich sehr froh war, und darüber schien er sich zu freuen.
Man wird mir zugeben müssen, daß ich, nachdem ich für Bâcle, der im Grunde genommen doch immer nur ein Bauer war, geschwärmt hatte, jetzt auch fähig sein konnte, Venture, der Erziehung, Talente, Geist und Welterfahrung besaß und für einen liebenswürdigen Wüstling gelten mußte, mein ganzes Herz zu schenken. Und das widerfuhr mir auch und wäre, glaube ich, auch jedem andern jungen Manne an meiner Stelle um so leichter widerfahren, je mehr er im Stande gewesen wäre, Vorzüge zu erkennen, und je mehr er sich von denselben angezogen gefühlt hätte, denn Venture hatte unstreitig Vorzüge und namentlich den in seinem Alter sehr seltenen, daß er nicht beeifert war, sein Wissen leuchten zu lassen. Allerdings rühmte er sich vieler Dinge, die er nicht verstand, aber über die, welche er verstand, und deren gab es eine ziemlich große Zahl, redete er nicht; er wartete die Gelegenheit, sie zu zeigen, ab; dann benutzte er sie ohne sichtlichen Eifer, und gerade das that die größte Wirkung. Da er jedesmal, ohne zu Ende zu reden, aufhörte, so ließ sich auch nicht erkennen, wann sein Wissen erschöpft war. Scherzhaft, muthwillig, unerschöpflich, verführerisch in der Unterhaltung, beständig lächelnd und nie lachend, sagte er im einfachsten Tone die haarsträubendsten Dinge und bewirkte dadurch, daß man sie ihm hingehen ließ. Selbst die sittsamsten Damen staunten über das, was sie von ihm hinnahmen. Vergeblich sagte ihnen ihr Gefühl, daß sie ungehalten würden müßten; es fehlte ihnen an Kraft dazu. Er hatte nur liederliche Dirnen nöthig, und ich glaube nicht, daß er dazu geeignet war, Glück bei den Frauen zu machen, dagegen war er sehr geeignet, die Gesellschaft von Leuten, die es hatten, unendlich zu würzen. Bei so vielen angenehmen Talenten konnte er in einem Lande, wo man sich auf dieselben versteht und sie liebt, nicht lange auf den Kreis der Musikanten beschränkt bleiben.
Wie meine Zuneigung zu Herrn Venture aus besseren Gründen hervorgegangen war, so hatte sie auch weniger üble Folgen als die zu Herrn Bâcle gefaßte, obgleich sie leidenschaftlicher und dauernder als jene war. Ich sah und hörte ihn gern; alles, was er that, schien mir reizend; alles, was er sagte, galt mir für Orakel; allein meine Liebe ging nicht so weit, daß ich außer Stande gewesen wäre, mich von ihm zu trennen. Gegen dergleichen Uebertreibung hatte ich einen guten Schutz in meiner Nachbarschaft. Ueberdies fühlte ich, daß seine Grundsätze, so gut sie auch für ihn sein mochten, mir nicht frommten; ich hatte eine andere Art Wollust nöthig, von der er keine Vorstellung hatte, und von der ich nicht einmal mit ihm zu reden wagte, völlig überzeugt, daß er sich über mich lustig gemacht hätte. Indessen hätte ich gewünscht, meine Freundschaft für ihn mit der, welche mich beherrschte, zu verbinden. Ich redete mit Entzücken von ihm zu Mama; Le Maître erging sich gegen sie in Lobeserhebungen über ihn. Sie gestattete ihn zu ihr zu bringen. Aber ihre Begegnung lief keineswegs glücklich ab: er fand sie geziert, sie fand ihn
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