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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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fallen.
    Im Seminar war ein erbärmlicher Kerl von Lazarist, der sich an mich heranmachte und mich mit Abscheu gegen das Latein, worin er mich unterrichten wollte, erfüllte. Er hatte glattes, fettiges und schwarzes Haar, ein Pfefferkuchengesicht, die Stimme eines Büffels, den Blick einer Nachteule und einen Bart wie aus Schweineborsten. Sein Lächeln war hämisch, und seine Glieder zappelten wie bei einer Gliederpuppe. Seinen mir verhaßten Namen habe ich vergessen; aber sein fürchterliches, süßliches Gesicht ist mir noch vollkommen in der Erinnerung geblieben und ich kann nicht ohne Schauder an dasselbe zurückdenken. Ich glaube ihn noch immer in den Gängen auftauchen zu sehen, wie er mich mit seinem schmierigen Barett in sein Zimmer hineinwinkte, das mir entsetzlicher als ein Gefängnis war. Man stelle sich vor, was ich, der ich der Schüler eines hoffähigen Abbés gewesen war, ihm gegenüber empfinden mußte!
    Wäre ich zwei Monate diesem Ungeheuer überliefert gewesen, so bin ich überzeugt, daß mein Verstand es nicht ausgehalten hätte. Aber der gute Herr Gros, dem es auffiel, daß ich traurig wurde, nicht aß und abmagerte, ahnte den Grund meiner Niedergeschlagenheit; das war nicht schwer. Er entriß mich den Klauen meines Pavians und vertraute mich in noch merkwürdigerem Gegensatze dem sanftesten aller Menschen an, einem jungen Abbé aus Faucigny, [Fußnote: Eine kleine Provinz des Herzogtums Savoyen.] Namens Gâtier, der das Seminar durchmachte und aus Gefälligkeit für Herrn Gros und, wie ich glaube, auch aus Menschenfreundlichkeit bereit war, seinen Studien die Zeit zu entziehen, welche die Leitung der meinigen in Anspruch nahm. Nie habe ich rührendere Gesichtszüge als die des Herrn Gâtier gesehen. Er war blond und sein Bart ging in das Röthliche über. Seine Haltung entsprach der in seiner Provinz üblichen, wo die Leute unter einem plumpen Aeußeren sämmtlich viel Geist verbergen; was ihn indessen wahrhaft auszeichnete, war eine gefühlvolle, empfängliche, liebevolle Seele. In seinen großen blauen Augen lag ein Gemisch von Sanftmuth, Zärtlichkeit und Trauer, welches bewirkte, daß man ihn nicht ansehen konnte, ohne Theilnahme für ihn zu empfinden. Nach den Blicken, nach der Stimme dieses armen jungen Mannes hätte man annehmen müssen, daß er sein Schicksal voraussähe, und daß ihm sein Gefühl sagte, er wäre zum Leiden geboren.
    Mit diesem Aeußern stand sein Charakter nicht in Widerspruch. Voller Geduld und Gefälligkeit schien er eher mit mir zu studiren als mich zu unterrichten. Mehr bedurfte es nicht, um mir Liebe zu ihm einzuflößen; sein Vorgänger hatte mir das sehr leicht gemacht. Allein trotz aller Zeit, die er mir widmete, trotz des guten Willens, den wir uns gegenseitig bezeigten, und trotz der Richtigkeit seiner Methode, machte ich bei der größten Anstrengung nur geringe Fortschritte. Eigentümlich ist, daß ich bei aller Fassungskraft von Lehrern, mit Ausnahme meines Vaters und des Herrn Lambercier, nie habe etwas lernen können. Das Wenige, was ich sonst noch weiß, habe ich, wie man später sehen wird, allein gelernt. Mein Geist, der sich gegen jederlei Joch auflehnt, kann sich dem Gesetze des Augenblicks nicht unterwerfen. Sogar die Furcht, nicht zu lernen, stört meine Aufmerksamkeit; besorgt, den, welcher mit mir redet, ungeduldig zu machen, thue ich, als verstände ich ihn; er geht weiter und ich verstehe nichts. Mein Geist verlangt seine besondere Zeit; er ist nicht im Stande, sich in eine ihm von Andern gesetzte zu finden.
    Nach erhaltener Weihe kehrte Herr Gâtier in seine Heimat zurück. Mein Bedauern, meine Liebe, meine Dankbarkeit begleiteten ihn. Die Wünsche, welche ich für ihn hegte, sind nicht besser erhört worden, als die, welche ich für mich selber hatte. Einige Jahre später erfuhr ich, daß er als Pfarrvikar ein Mädchen geschwängert, das einzige, in das er sich trotz seines ungemein zärtlichen Herzens verliebt hatte. Dies war in einer sehr streng verwalteten Diöcese ein entsetzliches Aergernis. Nach guter Regel dürfen Priester nur verheirathete Frauen schwängern. Weil er sich gegen dieses Gesetz der Schicklichkeit versündigt hatte, wurde er ins Gefängnis geworfen, beschimpft, weggejagt. Ich weiß nicht, ob es ihm späterhin gelungen ist, wieder in Gnaden aufgenommen zu werden, aber der Gedanke an sein trauriges Schicksal, das mir tief in das Herz geprägt ist, erwachte bei Abfassung des Emil wieder in mir, und im gemeinschaftlichen

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