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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Frau von achtzig Jahren! u. s. w. Man hat mir eine Stelle aus einem Briefe des Sohnes der Frau von Epinay mitgetheilt, die Ihnen großen Verdruß hat erregen müssen, oder ich kenne die Tiefe Ihrer Seele schlecht.«
    Die beiden letzten Sätze dieses Briefes verlangen eine Erklärung.
    Am Anfange meines Aufenthaltes auf der Eremitage schien sich Frau Le Vasseur dort zu mißfallen und die Wohnung zu einsam zu finden. Ihre Aeußerungen darüber waren mir zu Ohren gekommen. Ich erklärte mich bereit, sie, wenn es ihr in Paris besser gefiele, dorthin zurückzusenden, für sie dort die Miethe zu bezahlen und eben so zu sorgen, als ob sie noch bei mir wäre. Sie wies mein Anerbieten zurück, betheuerte mir, sie gefiele sich auf der Eremitage sehr gut, die Landluft thäte ihr wohl, und man sah, daß sie die Wahrheit sagte, denn sie verjüngte sich dort gleichsam und fühlte sich weit wohler als in Paris. Ihre Tochter gab mir sogar die Versicherung, sie würde sich im Grunde sehr geärgert haben, wenn wir die Eremitage, die wirklich ein reizender Aufenthalt wäre, verließen, da sie die kleinen unerlaubten Vortheile aus Garten und Obst, die ihrer Leitung unterstellt waren, sehr liebte. Jene Aeußerungen, die sie gethan, wären ihr nur in der Absicht eingeflüstert worden, mich zur Rückkehr nach Paris zu bewegen.
    Nach Scheiterung dieses Planes suchten sie das, was ihnen mein nachgiebiges Entgegenkommen nicht gewährt hatte, durch meine ängstliche Gewissenhaftigkeit zu erreichen und legten es mir als Verbrechen aus, diese alte Frau fern von der Hilfe, die sie in ihrem Alter nöthig haben konnte, da zu behalten, ohne daran zu denken, daß sie und viele alte Leute, denen die kräftige Landluft das Leben verlängert, diese Hilfe aus Montmorency, das ich vor meiner Thüre hatte, herbeiholen konnten, und als ob es nur in Paris Greise gäbe, während sie überall anders unfähig wären, am Leben zu bleiben. Frau Le Vasseur, die viel und mit großer Gier aß, litt oft an Ergießungen der Galle und heftigen Durchfällen, die bei ihr einige Tage dauerten und sie vor anderen Krankheiten schützten. In Paris that sie nie etwas dagegen und ließ der Natur ihren Lauf. Auf der Eremitage machte sie es genau eben so, da sie wohl wußte, daß sie nichts besseres thun könnte. Das hatte nichts zu bedeuten: weil es auf dem Lande keine Aerzte und Apotheker gab, hieß sie dort lassen ihren Tod wollen, obgleich sie sich dort außerordentlich wohl befand. Diderot hätte bestimmen müssen, in welchem Alter man bei Todesstrafe alte Leute nicht mehr außerhalb Paris dürfte leben lassen.
    Dies war eine der beiden abscheulichen Beschuldigungen, um deren willen er mich nicht von seiner Behauptung ausnahm, daß nur der Böse allein wäre; und darauf deutete sein pathetischer Ausruf: »Eine Frau von achtzig Jahren«, und das so mildreich hinzugefügte »u. s. w.« hin.
    Ich glaubte auf diesen Vorwurf nicht besser erwidern zu können als durch Berufung auf Frau Le Vasseur selbst. Ich ersuchte sie, der Frau von Epinay ihre Meinung darüber ganz einfach zu schreiben. Damit sie dabei ganz unbefangen wäre, wollte ich ihren Brief nicht sehen, und zeigte ihr den, welchen ich hier mittheilen will und den ich an Frau von Epinay in Bezug auf eine Antwort schrieb, die ich auf einen andern, noch groberen Brief Diderots hatte ertheilen wollen, von deren Absendung sie mich jedoch abgehalten hatte.
    Donnerstag.
    »Frau Le Vasseur wird an Sie schreiben, liebe Freundin; ich habe sie gebeten, Ihnen aufrichtig zu sagen, was sie denkt. Um ihr ihre Unbefangenheit nicht zu rauben, habe ich ihr erklärt, daß ich ihren Brief nicht sehen wollte, und ich bitte Sie, mir von seinem Inhalte nichts mitzutheilen.«
    »Ich werde meinen Brief nicht absenden, weil Sie dagegen sind; da ich mich aber schwer gekränkt fühle, so würde das Eingeständnis, daß ich Unrecht habe, eine Niedrigkeit und Falschheit sein, zu der ich mich nicht hergeben kann. Das Evangelium befiehlt wohl dem, der eine Ohrfeige erhält, auch die andere Wange hinzuhalten, aber nicht um Verzeihung zu bitten. Erinnern Sie sich jenes Mannes im Lustspiele, der unter Austheilung von Stockschlägen ruft: das ist die Rolle des Philosophen?
    »Wähnen Sie nicht, daß ihn das schlechte Wetter, welches herrscht, vom Kommen abhalten wird. Die Zeit und die Kräfte, welche ihm die Freundschaft versagt, wird ihm der Zorn geben, und zum ersten Male in seinem Leben wird er an dem versprochenen Tage erscheinen. Er wird sich alle

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