Rousseau's Bekenntnisse
von Epinay und das Geschrei der Holbachschen Sippschaft hatten die Geister so sehr zu seinen Gunsten verblendet, daß ich in dieser Angelegenheit nach allgemeiner Annahme Unrecht hatte, und selbst Frau von Houdetot, Diderots begeisterte Anhängerin, verlangte, daß ich ihn in Paris besuchen und alle entgegenkommenden Schritte zu einer Versöhnung thun sollte, die, so aufrichtig und vollkommen sie von meiner Seite auch war, sich dennoch als wenig dauerhaft erwies. Das von ihr angewendete Mittel, durch welches sie den Sieg über mein Herz gewann, war, daß Diderot in diesem Augenblick unglücklich wäre. Außer dem gegen die Enzyklopädie erregten Sturm hatte sich damals noch ein sehr heftiger gegen sein Stück erhoben, welches man ihn trotz der voraufgeschickten kleinen Geschichte von Anfang bis zu Ende aus Goldoni entlehnt zu haben beschuldigte. Diderot, der noch empfindlicher gegen Kritiken war als Voltaire, war zu jener Zeit davon ganz niedergeschmettert. Frau von Graffigny hatte sogar die Bosheit gehabt, das Gerücht zu verbreiten, daß ich bei dieser Gelegenheit mit ihm gebrochen hätte. Ich hielt es für gerecht und edelmüthig, öffentlich das Gegentheil nachzuweisen, und ich brachte zwei Tage nicht allein mit ihm, sondern auch bei ihm, in seinem eigenen Hause zu. Dies war seit meiner Uebersiedlung nach der Eremitage meine zweite Reise nach Paris. Die erste hatte ich unternommen, um zu dem armen Gauffecourt zu eilen, der einen Schlaganfall, von dem er sich nie wieder völlig erholte, gehabt hatte, und von dessen Bette ich erst nach Beseitigung jeglicher Gefahr wich.
Diderot nahm mich gut auf. Viel, viel Kränkungen kann die Umarmung eines Freundes vergessen machen! Welcher Groll kann da noch in einem Herzen haften! Wir gaben uns nur kurze Erklärungen. Bei gegenseitigen Verletzungen sind sie unnöthig. Es handelt sich dabei nur um eins, nämlich sie zu vergessen. Es waren, wenigstens meines Wissens, keine heimlichen Ränke vorgekommen; es verhielt sich nicht wie mit Frau von Epinay. Er zeigte mir den Entwurf des Familienvaters. »Das ist,« sagte ich zu ihm, »die beste Verteidigung des ›Natürlichen Sohnes‹. Beobachten Sie darüber Stillschweigen, arbeiten Sie dieses Stück sorgfältig aus und schleudern Sie es dann Ihren Feinden statt jeglicher Antwort plötzlich ins Gesicht.« Er that es und es war ihm nicht leid. Vor fast sechs Monaten hatte ich ihm die beiden ersten Abtheilungen der »Julie« zugesandt, um mir sein Urtheil darüber mitzutheilen. Er hatte sie noch nicht gelesen. Wir lasen ein Heft derselben zusammen. Er fand alles feuillet , dies war seine Bezeichnung, nämlich mit Worten überladen und phrasenreich. Ich hatte es schon selbst sehr wohl gefühlt; aber es war das Geplauder des Fiebers; ich habe es nie verbessern können. Die letzten Abtheilungen sind nicht so. Namentlich die vierte und sechste sind stilistische Meisterwerke.
Am zweiten Tage nach meiner Ankunft wollte er mich durchaus zu Herrn von Holbach zum Abendessen führen. Wir waren hierüber sehr verschiedener Ansicht, denn ich wollte sogar das Uebereinkommen wegen des Manuscripts über Chemie brechen. Der blose Gedanke, diesem Manne dafür Dank schuldig zu sein, empörte mich auf das tiefste. Diderot drang in allen Stücken durch. Er schwor mir, daß mich Herr von Holbach von ganzem Herzen liebte; ich müßte ihm einen Ton, den er gegen jedermann annähme und unter dem seine Freunde mehr als jeder andere zu leiden hätten, verzeihen. Er stellte mir vor, daß die Ablehnung dieses Manuscripts, nachdem ich es zwei Jahre vorher angenommen, eine Beleidigung des Gebers wäre und mir sogar als ein geheimer Vorwurf, mit der Abschließung des Kaufes so lange gesäumt zu haben, ausgelegt werden könnte. »Ich sehe,« fügte er hinzu, »Holbach alle Tage; ich kenne seinen Seelenzustand besser als Sie. Halten Sie, wenn Sie gegründete Ursache hätten, mit ihm unzufrieden zu sein, Ihren Freund für fähig, Ihnen eine Erniedrigung anzurathen?« Kurz, mit meiner gewöhnlichen Schwäche ließ ich mich knechten, und wir gingen zu dem Baron, der mich nach alter Weise aufnahm, zum Abendessen. Dagegen empfing mich seine Frau kalt und fast unhöflich. Ich erkannte die liebenswürdige Caroline, die mir als Mädchen so viel Wohlwollen erwies, nicht wieder. Schon lange vorher hatte ich die Wahrnehmung zu machen geglaubt, daß man mich, seit Grimm das Haus in Aine besuchte, daselbst nicht mehr mit gleich freundlichen Augen ansah.
Während ich in Paris
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