Rousseau's Bekenntnisse
die einzige Verdrießlichkeit, die mir meine Schwäche zuzog; aber ich hatte noch andere, nicht weniger empfindliche, die ich mir nicht selbst zugezogen hatte, sondern deren Grund nur in dem Bestreben lag, mich durch unausgesetzte Quälereien aus meiner Einsamkeit [Fußnote: Das heißt die Alte hervorzulocken, die man zur Ausführung der Verschwörung nöthig hatte. Es ist zu verwundern, daß mich mein dummes Vertrauen während dieses ganzen langen Sturmes zu begreifen abgehalten hat, daß nicht ich, sondern sie es war, die man nach Paris zurück haben wollte.] hervorzulocken. Diese Unannehmlichkeiten kamen mir von Seiten Diderots und der Holbachianer. Seit meiner Beziehung der Eremitage hatte Diderot nicht aufgehört mich zu quälen, sei es persönlich oder durch Deleyre, und aus des letzteren Witzeleien über meine Waldausflüge entnahm ich bald, mit welcher Lust sie den Einsiedler in einen galanten Schäfer verkleidet hatten. Aber nicht darum handelte es sich bei meinen Reibereien mit Diderot; diese hatten ernstere Ursachen. Nach der Veröffentlichung des »Natürlichen Sohnes« hatte er mir ein Exemplar desselben übersandt, das ich mit dem Interesse und der Aufmerksamkeit, die man den Werken eines Freundes zollt, gelesen hatte. Als ich die Art dialogisirter Poetik las, die er als Anhang hinzugefügt hat, wurde ich überrascht und sogar ein wenig unangenehm überrascht, darin unter mehreren nicht sehr höflichen, aber doch erträglichen Stellen gegen die Freunde der Einsamkeit auf jene bittre und harte, in schroffster Form aufgestellte Sentenz zu stoßen: »Nur der Böse ist gern allein.« Diese Sentenz ist meines Erachtens doppelsinnig und läßt eine mehrfache Deutung zu, eine sehr wahre und eine sehr falsche, da es völlig unmöglich ist, daß ein Mensch, der allein ist und sein will, jemandem schaden kann und will, und folglich auch unmöglich schlecht sein kann. Der Spruch an sich erheischte also eine Erklärung; noch mehr erheischte er sie von Seiten eines Schriftstellers, der, als er diesen Spruch niederschrieb, einen in die Einsamkeit zurückgezogenen Freund hatte. Es schien mir beleidigend und unredlich, daß er bei der Veröffentlichung an diesen einsamen Freund nicht gedacht hatte, oder daß er, wenn er seiner nicht vergessen, nicht wenigstens im Allgemeinen die ehrenwerthe und gerechte Ausnahme gemacht hatte, die er nicht allein diesem Freunde, sondern so vielen geachteten Weisen schuldig war, die zu allen Zeiten in der Zurückgezogenheit Ruhe und Frieden gesucht haben und die zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt sich ein Schriftsteller herausnimmt, mit einem einzigen Federstriche unterschiedslos in eben so viele Verbrecher zu verwandeln.
Ich liebte Diderot zärtlich, ich achtete ihn aufrichtig und verließ mich mit vollem Vertrauen auf die nämlichen Gefühle seinerseits. Aber gelangweilt von seiner unermüdlichen Hartnäckigkeit, meinem Geschmack, meinen Neigungen, meiner Lebensweise, kurz allem, was mich allein anging, ewig entgegenzutreten; empört zu sehen, wie ein Mann, der jünger war als ich, mich mit aller Gewalt wie ein Kind leiten wollte; angewidert von seiner steten Bereitwilligkeit, Versprechungen zu machen, und von seiner Saumseligkeit, sie zu halten; überdrüssig der vielen zwischen uns verabredeten und von ihm stets versäumten Zusammenkünfte und seiner Geneigtheit, immer neue zuzusagen, um abermals auszubleiben; peinlich davon berührt, ihn drei oder vier Mal im Monat an den von ihm selbst bestimmten Tagen vergeblich zu erwarten und dann am Abende allein zu speisen, nachdem ich ihm bis Saint-Denis entgegen gegangen war und den ganzen Tag auf ihn gewartet hatte: war mir das Herz von seinen sich stets mehrenden Kränkungen schon voll genug. Die letzte schien mir ernster und betrübte mich mehr. Ich schrieb an ihn, um mich darüber zu beklagen, aber mit einer Sanftmuth und Rührung, die mich das Papier mit meinen Thränen netzen ließ; und mein Brief war rührend genug, um ihm selbst Thränen zu entlocken. Man wird nie errathen, wie seine Antwort auf diese Klage lautete. Ich gebe sie hier wörtlich wieder (Heft A, Nr. 33): »Ich freue mich, daß mein Werk Ihnen gefallen, daß es Sie gerührt hat. Sie theilen meine Ansicht über die Einsiedler nicht. Sagen Sie ihnen soviel Gutes nach, wie Sie wollen; Sie werden der Einzige in der Welt sein, von dem ich es ebenfalls denken werde. Es ließe sich noch viel darüber sagen, wenn man mit Ihnen reden könnte, ohne Sie zu erzürnen. Eine
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