Rousseau's Bekenntnisse
war, langte Saint-Lambert, der Urlaub genommen hatte, daselbst an. Da ich nichts davon erfuhr, sah ich ihn erst nach meiner Rückkehr auf das Land, zuerst auf der Chevrette und dann auf der Eremitage, wohin er mit Frau von Houdetot kam, um mich zum Mittagsessen einzuladen. Man kann sich denken, mit wie großer Freude ich sie empfing; aber noch größere empfand ich darüber, ihr gutes Einverständnis zu sehen. Zufrieden, ihr Glück nicht gestört zu haben, war ich selbst glücklich darüber, und ich kann schwören, daß ich ihm Frau von Houdetot während meiner ganzen thörichten Leidenschaft und namentlich in diesem Augenblicke, selbst wenn es in meiner Macht gestanden, nicht hätte nehmen mögen, ja nicht einmal die Versuchung dazu gefühlt hätte. Ich fand sie in ihrer Liebe zu Saint-Lambert so liebenswürdig, wie ich sie mir in ihrer Liebe zu mir selbst kaum hätte vorstellen können, und ohne ihre Verbindung stören zu wollen, war alles, was ich in meiner Schwärmerei in Wahrheit von ihr begehrt habe, daß sie sich lieben ließe. Kurz, von einer wie heftigen Leidenschaft ich auch für sie entbrannt gewesen, war es mir doch ein eben so großer Genuß, der Vertraute ihrer Liebe wie der Gegenstand derselben zu sein, und ich habe nie einen Augenblick ihren Geliebten als meinen Nebenbuhler, sondern stets als meinen Freund betrachtet. Man wird sagen, dies wäre noch nicht Liebe gewesen; mag es sein, aber dann war es noch mehr.
Saint-Lambert selbst betrug sich wie ein ehrlicher und verständiger Mann; da ich der einzige Strafbare war, wurde ich auch allein bestraft und noch dazu mit Milde. Er behandelte mich nicht sehr rücksichtsvoll, aber doch freundschaftlich; ich merkte, daß ich bei ihm etwas an Achtung, aber nichts an Freundschaft verloren hatte. Ich tröstete mich darüber, da ich wußte, daß es mir weit leichter sein würde, die erstere wiederzugewinnen als die letztere, und daß er zu verständig wäre, um eine unwillkürliche und flüchtige Schwäche mit einem Charakterfehler zu verwechseln. Lag in dem Vorgefallenen ein Fehler meinerseits, so war er doch sehr gering. Hatte ich etwa seine Geliebte aufgesucht? Hatte er sie mir nicht selbst zugesandt? Hatte sie mich nicht aufgesucht? War ich im Stande, ihren Besuch abzulehnen? Was konnte ich thun? Sie allein hatten das Unheil angerichtet, und ich hatte darunter gelitten. An meiner Stelle würde er wie ich, und vielleicht noch schlimmer gehandelt haben, denn wie treu, wie achtungswerth Frau von Houdetot auch war, so war sie doch schließlich immer ein Weib. Er war abwesend, an Gelegenheit fehlte es nicht, die Versuchung war stark, und es würde ihr sehr schwer gewesen sein, sich gegen einen unternehmenderen Mann stets mit demselben Erfolge zu vertheidigen. Es war sicherlich für sie wie für mich viel, daß wir uns in einer solchen Lage Schranken zu setzen vermochten, die wir uns nie zu überschreiten gestatteten.
Obgleich ich mir in der Tiefe meines Herzens ein ziemlich ehrenvolles Zeugnis ausstellte, so war doch der Schein so sehr wider mich, daß mir die unüberwindliche Scham, die mich stets beherrschte, in seiner Gegenwart vollkommen die Miene eines Schuldigen gab, was er häufig mißbrauchte, um mich zu demüthigen. Ein einziger Zug wird auf unsere gegenseitige Stellung hinreichendes Licht werfen. Nach der Mahlzeit las ich ihm den Brief vor, den ich im vergangenen Jahre an Voltaire geschrieben und von dem er, Saint-Lambert, gehört hatte. Während des Vorlesens schlief er ein, und ich, einst so hochmüthig, jetzt so eingeschüchtert, wagte nicht einmal, die Lectüre zu unterbrechen und las immer weiter, während er immer weiter schnarchte. So begegnete er mir, so rächte er sich an mir, aber in seinem Edelmuthe übte er seine Rache nur, wenn wir drei allein waren, an mir aus.
Nach seiner Abreise fand ich Frau von Houdetot sehr verändert gegen mich. Ich war darüber erstaunt, als ob ich es nicht hätte erwarten müssen. Ich war davon mehr ergriffen, als ich hätte sein sollen, und dies bereitete mir großes Leid. Mir schien alles, wovon ich Heilung erwartete, den Pfeil nur noch tiefer in mein Herz zu drücken. Ich habe ihn endlich mehr zerbrochen als herausgerissen.
Ich war entschlossen, mich vollkommen zu beherrschen und nichts zu unterlassen, um meine thörichte Leidenschaft in eine reine und dauernde Freundschaft zu verwandeln. Ich hatte zu dem Zwecke die schönsten Vorsätze von der Welt gefaßt, zu deren Verwirklichung ich der Beihilfe der Frau
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