Rousseau's Bekenntnisse
sonderbare und vielleicht in der Welt einzig dastehende Sammlung, mit der er sich und auch seine Gäste viel beschäftigte, wenn sie sich auch bisweilen weniger daran ergötzten als er. Es war eine sehr vollständige Sammlung aller bei Hofe und in Paris seit länger als fünfzig Jahren aufgeführter Singspiele, in der man viele Anekdoten fand, die man anderswo vergeblich gesucht haben würde. Das waren allerdings für die Geschichte Frankreichs Denkwürdigkeiten, die man sich bei jeder andern Nation schwerlich zu sammeln in den Sinn kommen ließe.
Mitten in unserm besten Einvernehmen empfing er mich eines Tages so kalt, so frostig, so wenig nach seiner sonstigen Weise, daß ich, nachdem ich ihm Gelegenheit dargeboten, sich zu erklären, und ihn sogar darum gebeten hatte, aus seinem Hause mit dem Entschlusse schied, den ich auch gehalten habe, es nie wieder zu betreten; denn man sieht mich nicht leicht da wieder, wo man mich einmal schlecht aufgenommen hat, und hier war kein Diderot vorhanden, der Herrn von Jonville's Verteidigung übernahm. Vergeblich zerbrach ich mir den Kopf, welches Unrecht ich ihm zugefügt haben konnte; ich fand nichts. Ich war sicher, von ihm und den Seinigen nur in der ehrenvollsten Weise geredet zu haben, denn ich war ihm aufrichtig zugethan, und abgesehen davon, daß ich von ihm nur Gutes zu sagen hatte, ist es stets mein unverbrüchlichster Grundsatz gewesen, von den Häusern, die ich besuchte, nur mit Achtung zu reden.
Reifliches Nachdenken brachte mich endlich auf folgende Vermuthung. Das letzte Mal, wo wir uns gesehen, hatte er mich mit zwei oder drei Beamten aus dem Ministerium der öffentlichen Angelegenheiten, sehr liebenswürdigen Leuten, die weder das Aussehen noch die Sprache von Wüstlingen hatten, eingeladen, mit ihm bei Mädchen seiner Bekanntschaft zur Nacht zu speisen, und ich kann schwören, daß der Abend meinerseits unter ziemlich traurigen Betrachtungen über das unglückliche Loos dieser Geschöpfe verlief. Weil Herr von Jonville das Abendessen uns zu Ehren veranstaltet hatte, bezahlte ich meinen Antheil an der Zeche nicht, und gab diesen Mädchen nichts, weil ich mir nicht bei ihnen durch das Anerbieten eines Geschenkes denselben Lohn wie bei der Paduana verdienen wollte. Wir trennten uns alle ziemlich heiter und im besten Einvernehmen. Ohne zu diesen Mädchen zurückgekehrt zu sein, ging ich drei oder vier Tage später zu Herrn von Jonville, den ich seitdem nicht wiedergesehen und der mir den erwähnten Empfang bereitete, zum Mittagsessen. Da ich mir keinen anderen Grund als ein auf jenes Abendessen bezügliches Mißverständnis denken konnte und bemerkte, daß er sich nicht erklären wollte, so hörte ich kurz entschlossen auf, ihn ferner zu besuchen, aber ich fuhr fort ihm meine Werke zu schicken. Er ließ mich oft grüßen, und als ich ihn einst im Foyer des Schauspielhauses traf, machte er mir über das Aufhören meiner Besuche freundliche Vorwürfe, die mich trotzdem nicht zu ihm zurückführten. So hatte diese Sache mehr den Anschein des Schmollens als eines festen Bruches. Da ich ihn indessen seitdem weder wiedergesehen noch von ihm etwas vernommen hatte, wäre es nach einem mehrjährigen Fernbleiben zu spät gewesen, zu ihm zurückzukehren. Deshalb führe ich Herrn von Jonville hier nicht in meiner Liste auf, obgleich ich sein Haus ziemlich lange besucht hatte.
Ich werde diese Liste auch nicht mit vielen andren, weniger vertrauten Bekanntschaften oder mit solchen vergrößern, die in Folge meiner Abwesenheit ihren freundschaftlichen Charakter verloren hatten, obgleich ich diese Bekannten mitunter sowohl bei mir wie auch bei meinen Nachbarn sah, zum Beispiel die Abbés von Condillac, von Mably, die Herren von Mairan, von Lalive, von Boispelou, Watelet, Ancelet und andere, die aufzuführen zu weitläuftig wäre. Ich erwähne auch nur flüchtig meine Bekanntschaft mit Herrn von Margency, einem Hofcavaliere, früheren Mitgliede der Holbachschen Sippschaft, die er gleich mir verlassen, und alten Freunde der Frau von Epinay, von der er sich wie ich getrennt hatte. Eben so will ich mich nicht aufhalten bei meiner Bekanntschaft mit seinem Freunde Desmachis, dem berühmten, aber bald vergessenen Verfasser des Lustspiels »Der Alberne«. Ersterer war auf dem Lande mein Nachbar, da sein Gut Margency in der Nähe von Montmorency lag. Wir waren alte Bekannte; aber die Nachbarschaft und eine gewisse Übereinstimmung unserer Erfahrungen brachten uns noch näher. Letzterer
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