Rousseau's Bekenntnisse
vereinigte den Ton eines Weltmannes mit dem Wissen eines Stubengelehrten. Von allen länger in meiner Nähe wohnenden Nachbarn war er derjenige, dessen Gesellschaft mir die angenehmste war und von dem ich mit dem meisten Bedauern schied.
In Montmorency hatte ich die Oratoristen und unter andern den Pater Berthier, Professor der Physik, dem ich mich trotz eines leichten Anstriches von Pedanterie wegen eines gewissen gutmüthigen Wesens, das ich an ihm wahrnahm, angeschlossen hatte. Ich hatte jedoch Mühe, diese große Einfachheit mit dem Hange und der Geschicklichkeit, die er besaß, sich überall bei den Großen, bei den Frauen, bei den Frommen, bei den Philosophen einzudrängen, in Einklang zu bringen. Er wußte jedem gerecht zu werden. Der Umgang mit ihm machte mir große Freude. Ich sprach mich darüber gegen jedermann aus, und augenscheinlich erfuhr er meine Worte wieder. Er sprach mir eines Tages mit einem eigenthümlichen Lächeln seinen Dank dafür aus, daß ich einen ehrlichen Menschen in ihm erkannt hätte. In seinem Lächeln fiel mir etwas Sardonisches auf, das seine Physiognomie in meinen Augen vollkommen änderte, und das seitdem oft wieder in meiner Erinnerung aufgetaucht ist. Ich kann dieses Lächeln nicht besser als mit dem des Panurge vergleichen, wie er von Dindenaut die Hammel kaufte. Unsere Bekanntschaft hatte bald nach meiner Ankunft in der Eremitage angefangen, wo er mich sehr häufig besuchte. Ich hatte mich bereits in Montmorency niedergelassen, als er die Gegend verließ, um wieder in Paris seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Er sah dort oft Frau Le Vasseur. Als ich eines Tages an nichts weniger dachte, theilte er mir in ihrem Auftrage brieflich mit, Herr Grimm hätte sich erboten, für ihren Unterhalt zu sorgen, und sie bäte mich um Erlaubnis, dieses Anerbieten anzunehmen. Ich vernahm, daß es in einer Pension von dreihundert Livres bestände, und daß Frau Le Vasseur in Deuil zwischen der Chevrette und Montmorency wohnen sollte. Ich will den Eindruck, den diese Nachricht auf mich ausübte, nicht beschreiben. Hätte Grimm zehntausend Livres Rente besessen oder in einem leichter zu begreifenden Verhältnisse zu dieser Frau gestanden, und hätte man es mir nicht als ein so großes Verbrechen angerechnet, sie auf das Land geführt zu haben, wohin es ihm jetzt gleichwohl gefiel, sie zurückzuführen, als ob sie sich seitdem verjüngt hätte, so wäre diese Nachricht weniger überraschend gewesen. Ich begriff, daß die biedre Alte die Erlaubnis, die sie im Falle meiner Weigerung gar nicht nöthig gehabt hätte, von mir nur verlangte, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, das zu verlieren, was ich ihr meinerseits gab. Obgleich mir diese Mildthätigkeit ganz außergewöhnlich schien, war sie mir damals doch nicht so auffallend, als sie es mir in der Folge war. Hätte ich jedoch alles gewußt, hinter das ich erst später gekommen bin, so hätte ich trotzdem meine Einwilligung gegeben, wie ich es wirklich that und zu thun gezwungen war, falls ich Herrn Grimms Anerbieten nicht überbieten wollte. Seitdem heilte mich der Pater Berthier ein wenig von dem Glauben an seine Gutmütigkeit, die ihm so spaßhaft vorgekommen war und die ich ihm so unbesonnener Weise angedichtet hatte.
Dieser nämliche Pater Berthier hatte mit zwei Männern Bekanntschaft, die auch die meinige suchten, ich weiß nicht weshalb, da es zwischen ihren und meinen Neigungen sicherlich wenige Beziehungen gab. Es waren Kinder Melchisedechs, von denen man weder Heimat noch Abstammung kannte, ja wahrscheinlich auch den wahren Namen nicht. Sie waren Jansenisten und galten für verkleidete Priester, vielleicht wegen ihrer Lächerlichkeit, Raufdegen zu tragen, die sie nie ablegten. Die seltsame Geheimniskrämerei, die sich in ihrem ganzen Wesen verrieth, verlieh ihnen einen Anstrich von Parteihäuptern, und ich habe nie daran gezweifelt, daß sie die Herausgeber der Kirchenzeitung wären. Der eine, groß, gutmüthig, einschmeichelnd, nannte sich Herr Ferrand, der andere, klein, untersetzt, spöttisch, streitsüchtig, Herr Minard. Sie gaben sich für Vettern aus. In Paris wohnten sie mit d'Alembert bei seiner Amme, einer gewissen Frau Rousseau, und in Montmorency hatten sie eine kleine Wohnung genommen, um dort die Sommer zu verleben. Ihre Wirthschaft führten sie selbst ohne Diener und Dienstmann. Sie besorgten abwechselnd jeder eine Woche lang die Einkäufe, die Küchengeschäfte und das Kehren des Hauses. Uebrigens verhielten sie sich
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