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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Orden geschmückt, dessen Namen ich vergessen habe und der die Form eines schönen mit Edelsteinen geschmückten Kreuzes hatte. Bei der Ahnenprobe genöthigt, seinem Namen »von Carrio« noch einen Buchstaben hinzuzufügen, ließ er sich jetzt »Ritter von Carrion« nennen. Er war noch immer derselbe, hatte noch immer dasselbe vortreffliche Herz und einen sich täglich liebenswürdiger entwickelnden Geist. Ich wäre mit ihm wieder in dasselbe vertraute Verhältnis getreten, wenn nicht Coindet, der sich nach seiner Gewohnheit zwischen uns drängte, meine Entfernung benutzt hätte, um sich an meiner Stelle und in meinem Namen sein Vertrauen zu erwerben und mich, in seinem Eifer mir zu dienen, zu verdrängen.
    Die Erinnerung an Herrn von Carrion ruft wieder die an einen meiner Nachbarn auf dem Lande in mir wach, dessen nicht zu erwähnen ein um so größeres Unrecht sein würde, da ich ein sehr unverantwortliches gegen ihn zu bekennen habe. Es war der redliche Herr Le Blond, der mir in Venedig Gefälligkeiten erwiesen und jetzt, wo er sich mit seiner Familie auf einer Reise in Frankreich befand, ein Landhaus in La Briche, nicht weit von Montmorency gemiethet hatte. [Fußnote: Als ich dies voll meines alten und blinden Vertrauens schrieb, war ich gar weit davon entfernt, den wahren Grund und Zweck dieser Reise nach Paris zu ahnen.] Sobald ich erfuhr, daß er mein Nachbar war, erfüllte Freude mein Herz und ich sah es mehr für ein Fest als für meine Pflicht an, ihm einen Besuch abzustatten. Gleich am folgenden Tage machte ich mich deshalb auf den Weg. Mir begegneten jedoch Leute, die mich selbst besuchen wollten, und mit denen ich umkehren mußte. Zwei Tage später breche ich abermals zu ihm auf; er war mit seiner ganzen Familie nach Paris zu einem Mittagsmahle eingeladen. Ein drittes Mal war er zu Hause; ich hörte Frauenstimmen und sah eine Kutsche vor der Thüre; das machte mir Angst. Das erste Mal wenigstens wollte ich ihn für mich allein haben und mit ihm von unsern alten Bekannten plaudern. Kurz, ich schob meinen Besuch so lange von einem Tag zum andern auf, bis mich die Scham, eine solche Pflicht so spät zu erfüllen, von ihrer Erfüllung gänzlich abhielt. Nachdem ich den Muth gehabt hatte, so lange zu säumen, hatte ich ihn nicht mehr, mich zu zeigen. Diese Vernachlässigung, über die Herr Le Blond nur mit Recht entrüstet sein mußte, verlieh meiner Trägheit in seinen Augen den Schein der Undankbarkeit; und gleichwohl fühlte ich mich im Herzen so wenig schuldig, daß mich Herr Le Blond, wenn ich ihm, selbst wider sein Wissen, irgend eine wahre Freude hätte bereiten können, dazu sicherlich nicht träge gefunden haben würde. Aber Lässigkeit, Säumnis und ewiges Aufschieben bei der Erfüllung kleiner Pflichten sind mir nachtheiliger gewesen als große Versehen. Meine schlimmsten Fehler sind Unterlassungsfehler gewesen. Was man nicht thun darf, habe ich selten gethan und leider noch seltener, was man thun muß.
    Da ich auf meine Bekanntschaften von Venedig her zurückgekommen bin, darf ich eine mit ihnen zusammenhängende nicht vergessen, die ich erst vor weit kürzerer Zeit als die übrigen abgebrochen hatte, nämlich die mit Herrn von Jonville, der mir seit seiner Rückkehr von Genua unaufhörlich viele Freundlichkeiten erwiesen hatte. Er kam gern mit mir zusammen, um mit mir von den italienischen Angelegenheiten und den Tollheiten des Herrn von Montaigu zu plaudern, von dessen Streichen er durch seine vielfachen Verbindungen mit dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten bereits allerlei wußte. Ich hatte das Vergnügen, bei ihm auch meinen alten Collegen Dupont wiederzusehen, der in seiner Provinz eine Anstellung gekauft hatte und durch seine Geschäfte mitunter nach Paris zurückgeführt wurde. Herr von Jonville wurde nach und nach so eifrig bestrebt, mich ganz in Beschlag zu nehmen, daß er damit lästig wurde, und obgleich wir in sehr entfernten Stadttheilen wohnten, gab es zwischen uns Zank, wenn ich eine ganze Woche vergehen ließ, ohne ihn zum Mittagsessen zu besuchen. So oft er nach Jonville ging, wollte er mich mitnehmen; nachdem ich aber einmal acht Tage, die mir sehr lang vorkamen, daselbst zugebracht hatte, verspürte ich kein Verlangen mehr, dorthin zurückzukehren. Herr von Jonville war sicherlich ein redlicher und zuvorkommender und in gewisser Hinsicht sogar liebenswürdiger Mann, aber er hatte wenig Geist; er war schön, ein halber Narciß und ziemlich langweilig. Er besaß eine

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