Rousseau's Bekenntnisse
rachsüchtigen Stolz hatte, fast eben so viel Geld auszugeben, wie er mir hatte schenken wollen. Nach geschlossenem Frieden glaubte ich, er würde, da sein kriegerischer und politischer Ruhm seinen Gipfel erreicht hatte, es sich nun angelegen sein lassen, sich einen andern zu erwerben, indem er seine Staaten wieder belebte und Handel und Ackerbau in ihnen in Aufschwung brächte, gleichsam einen neuen Boden mit einer neuen Bevölkerung schaffte, den Frieden unter all seinen Nachbarn aufrecht erhielte und sich zum Schiedsrichter Europas machte, nachdem er der Schrecken desselben gewesen war. Er konnte ohne Gefahr den Degen niederlegen, vollkommen sicher, daß man ihn nicht zwingen würde, von neuem nach ihm zu greifen. Als ich sah, daß er nicht entwaffnete, besorgte ich, daß er seinen Vortheil übel anwendete und nur halb groß wäre. Ich wagte in Bezug darauf an ihn zu schreiben, wobei ich jenen vertraulichen Ton, der Männern von seinem Schlage zu gefallen pflegt, anschlug und die heilige Stimme der Wahrheit, die so wenige Könige zu hören fähig sind, bis zu ihm dringen zu lassen. Nur im Geheimen, allein zwischen ihm und mir, nahm ich mir diese Freiheit. Nicht einmal Mylord Marschall machte ich zum Mitwisser, sondern sandte ihm meinen Brief an den König versiegelt. Mylord schickte den Brief ab, ohne sich nach seinem Inhalte zu erkundigen. Der König gab mir keine Antwort und sagte nur einige Zeit später zum Mylord Marschall, der nach Berlin gereist war, ich hätte ihn tüchtig ausgescholten. Daraus ersah ich, daß mein Brief übel aufgenommen und der Freimuth meines Eifers für die Ungeschliffenheit eines Pedanten ausgelegt worden war. Eine solche konnte mein Brief auch möglicher Weise sein; vielleicht sagte ich nicht, was ich hätte sagen müssen, und schlug den Ton nicht an, der sich geziemt hätte. Ich kann nur für die Gesinnung einstehen, die mir die Feder in die Hand gedrückt hatte.
Bald nach meiner Niederlassung in Motiers-Travers, wo ich alle nur mögliche Gewähr hatte, daß man mich dort in Frieden lassen würde, legte ich die armenische Tracht an. Dies war keine neue Idee; sie war im Laufe meines Lebens wiederholentlich an mich herangetreten und stellte sich namentlich in Montmorency wieder häufig bei mir ein, wo ich durch die öftere Anwendung der Sonden, die mich nicht selten zum Hüten des Zimmers verurtheilte, alle Vortheile der langen Kleidung besser würdigen lernte. Die mir durch einen armenischen Schneider, der einen in Montmorency wohnenden Verwandten oft besuchte, dargebotene Gelegenheit führte mich in Versuchung, dieselbe zu benutzen, um diese neue Tracht allem Gerede zum Trotz, um das ich mich sehr wenig kümmerte, anzunehmen. Ehe ich sie jedoch anlegte, wollte ich die Ansicht der Frau von Luxembourg darüber hören, die mir sehr zu ihrer Annahme rieth. Ich ließ mir deshalb eine kleine armenische Garderobe anfertigen; aber in Folge des gegen mich erregten Sturmes verschob ich die Benutzung auf ruhigere Zeiten, und erst einige Monate später, als ich durch neue Anfälle gezwungen war, wieder meine Zuflucht zu den Sonden zu nehmen, glaubte ich diese neue Tracht ohne Gefahr in Motiers annehmen zu können, namentlich nach einer Berathung mit dem Ortspfarrer, der mir erklärte, daß ich sie selbst in der Kirche ohne Anstoß tragen könnte. Ich legte also das orientalische Unterkleid, den Kaftan, die verbrämte Mütze und den Gürtel an, und nachdem ich in dieser Tracht dem Gottesdienste beigewohnt hatte, erblickte ich nichts Unziemliches darin, sie bei Mylord Marschall zu tragen. Als mich Seine Excellenz so gekleidet sah, war ihr ganzer Gruß »Salamaleki«, damit war alles zu Ende, und ich trug keine andre Kleidung mehr.
Nachdem ich von der Literatur völlig Abschied genommen hatte, dachte ich nur noch daran, ein ruhiges und angenehmes Leben zu führen, soweit es von mir abhängen würde. Für mich allein habe ich nie die Langeweile kennen gelernt, nicht einmal bei dem vollkommensten Müßiggange; meine jede Leere ausfüllende Einbildungskraft reichte schon allein hin, um mich zu beschäftigen. Nur das unthätige Geschwätz, wenn man im Zimmer einander gegenüber sitzend nur immerfort die Zunge bewegt, habe ich niemals ertragen können. Beim Gehen, beim Lustwandeln mag es noch sein; die Füße und die Augen thun doch wenigstens etwas; aber mit gekreuzten Armen dasitzen, vom Wetter und den umherschwirrendeu Fliegen reden oder, was noch schlimmer ist, sich gegenseitig Schmeicheleien
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