Rousseau's Bekenntnisse
Feinheit, durch die sich der Geist des Mylord Marschall auszeichnete, wohl aber dessen Einfachheit; dadurch gewährte er immer einigen Ersatz für diesen. Ich schwärmte nicht für ihn, aber ich gewann ihn aus Achtung lieb, und nach und nach wurde aus der Achtung Freundschaft. Ihm gegenüber vergaß ich ganz und gar den Einwand, den ich gegen den Baron von Holbach ausgesprochen hatte, daß er zu reich wäre, und ich glaube, ich hatte hierin Unrecht. Ich habe zweifeln gelernt, daß ein Mensch, der sich des Genusses eines sehr großen Vermögens erfreut, wer er auch sonst sein möge, meine Grundsätze und die Person, von der sie herrühren, aufrichtig zu lieben vermag.
Ziemlich lange Zeit hindurch sah ich Du Peyrou wenig, weil ich nicht nach Neufchâtel ging und er nur einmal im Jahre den Obrist Pury im Gebirge besuchte. Weshalb ging ich nicht nach Neufchâtel? Es ist eine Kinderei, die ich nicht verschweigen darf.
Wenn ich auch als Schützling des Königs von Preußen und des Lord Marschalls in meinem Asyle anfangs der Verfolgung entging, so entging ich trotzdem nicht der Mißachtung des Publikums, der Stadtbehörden und der Prediger. Nachdem von Frankreich der Anstoß gegeben war, hätte es gegen den guten Ton verstoßen, mir nicht wenigstens irgend eine Beleidigung zuzufügen; man hätte besorgt, sich den Anschein zu geben, als mißbilligte man meine Verfolger, wenn man sie nicht nachahmte. Die maßgebenden Kreise Neufchâtels, das heißt die Genossenschaft der Geistlichkeit gab das Alarmzeichen, indem sie den Staatsrath wider mich aufzureizen suchte. Da dieser Versuch erfolglos war, wandten sich die Geistlichen an den Stadtrat, der sofort mein Buch verbieten ließ und mir dadurch, daß er mich bei jeder Gelegenheit wenig höflich behandelte, zu verstehen gab und es sogar offen aussprach, daß man meinem etwaigen Wunsche, mich in der Stadt niederzulassen, nicht entsprochen haben würde. Sie füllten ihren »Merkur« mit Albernheiten und dem scheinheiligsten Gesalbader an, das die verständigen Leute zwar zum Lachen reizte, aber trotzdem nicht das Volk zu erhitzen und gegen mich aufzuhetzen unterließ. Nichtsdestoweniger mußte ich ihres Bedünkens sehr dankbar für die außerordentliche Gnade sein, daß sie meinen Aufenthalt in Motiers duldeten, wo sie keine Gewalt hatten; sie hätten mir die Luft gern ellenweise zugemessen, unter der Bedingung, daß ich sie recht theuer bezahlte. Nach ihrem Verlangen sollte ich ihnen für den Schutz, den mir der König ihnen zum Trotze gewährte, und an dessen Entziehung sie unaufhörlich arbeiteten, sehr verbunden sein. Kurz, nachdem sie mir vergeblich alles mögliche Leid zugefügt und mich vergeblich aus allen Kräften verschrien hatten, rechneten sie sich ihre Ohnmacht als Verdienst an, indem sie mir ihre Güte vorhielten, mich in ihrem Gebiete zu dulden. Statt aller Antwort hätte ich ihnen ins Gesicht lachen sollen; aber ich war albern genug, mich verletzt zu fühlen, und beging die Thorheit, nicht nach Neufchâtel gehen zu wollen, und bei diesem Entschlusse blieb ich fast zwei Jahre, als ob es für dergleichen Persönlichkeiten nicht eine viel zu große Ehre wäre, ihre Handlungsweise zu beachten, die, gut oder schlecht, ihnen nicht angerechnet werden kann, da sie stets nur auf fremden Antrieb handeln. Ungebildete und einsichtsvolle Geister, die als Gegenstände ihrer Achtung nur Einfluß, Macht und Geld kennen, sind überdies schon von der bloßen Ahnung weit entfernt, daß man Talenten einige Rücksicht schuldig ist und es zur Schande gereicht, sie zu beleidigen.
Ein gewisser Schulze, der wegen seiner Veruntreuungen abgesetzt war, sagte zu dem Richter des Val-de-Travers, dem Gatten meiner Isabella: »Dieser Rousseau soll soviel Geist haben; bringen Sie ihn doch zu mir, damit ich mich überzeuge, ob es wahr ist.« Wahrlich, die Mißstimmung eines Mannes, gegen den man einen solchen Ton anschlägt, darf die, gegen die er sie ausläßt, wenig wundern.
Nach der Weise, wie man mich in Paris, in Genf, in Bern und sogar in Neufchâtel behandelte, erwartete ich von dem Ortspfarrer keine größere Schonung. Ich war ihm indessen von Frau Boy de la Tour empfohlen worden, und er hatte mich freundlich aufgenommen; aber in diesem Lande, wo man jedermann in gleicher Weise schmeichelt, haben Zuvorkommenheiten keine Bedeutung. Nach meinem feierlichen Wiedereintritt in die reformirte Kirche konnte ich jedoch, zumal ich in einem reformirten Lande lebte, ohne Verletzung meiner Gelübde
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