Rousseau's Bekenntnisse
und kratzte, um sich durch sie flüchten zu können. Bei dem Lärm erhebe ich mich; ich wollte eben aus meinem Zimmer in die Küche treten, als ein von kräftiger Hand geschleuderter Stein, nachdem er das Fenster zerschmettert hatte, durch die Küche flog, die Thüre zu meinem Zimmer aufriß und zu Füßen meines Bettes niederfiel, so daß ich, wäre ich eine Sekunde früher herausgetreten, den Stein gegen den Leib bekommen hätte. Ich nahm an, daß man den Lärm erhoben hatte, um mich herbeizuziehen und der Stein zu meinem Empfange geworfen war. Ich stürze in die Küche. Ich finde Therese, die sich ebenfalls erhoben hatte und zitternd auf mich zueilte. Wir stellen uns, um den Steinwürfen zu entgehen, an eine Wand, die nicht in der Richtung des Fensters lag, und überlegen, was wir thun sollten, denn hinauszugehen, um Hilfe herbeizurufen, hätte uns der Gefahr der Ermordung ausgesetzt. Glücklicherweise stand die Magd eines alten Ehrenmannes, der unter mir wohnte, bei dem Lärm auf und lief, den Herrn Gerichtsverwalter, mit dem wir Thüre an Thüre wohnten, herbeizurufen. Er springt aus dem Bette, zieht schnell seinen Schlafrock an und kommt augenblicklich mit der Wache, die des Jahrmarkts wegen diese Nacht die Runde machte und sich ganz in der Nähe befand. Der Gerichtsverwalter sah die Verwüstung mit einem solchen Entsetzen, daß er erblaßte, und schrie bei dem Anblicke der Steine, die aufgehäuft auf der Galerie lagen: »Das ist ja ein wahrer Steinbruch!« Als man unten auf der Straße Nachsuchungen hielt, fand sich, daß das Thor eines kleinen Hofes erbrochen war, und man versucht hatte von der Galerie aus in das Haus einzudringen. Bei der Untersuchung, weshalb die Wache nicht die Verwüstung bemerkt oder verhindert hatte, stellte sich heraus, daß die Leute aus Motiers hartnäckig darauf bestanden hätten, die Wache zu bilden, obgleich nicht die Reihe an ihnen, sondern an einem anderen Dorf war. Am folgenden Tage reichte der Gerichtsverwalter seinen Bericht bei dem Staatsrathe ein, der ihm zwei Tage darauf den Befehl ertheilte, eine Untersuchung über diese Angelegenheit einzuleiten, den Anzeigern der Schuldigen eine Belohnung und Stillschweigen zu geloben und inzwischen vor meinem Hause wie vor dem des Gerichtsverwalters, das daran stieß, auf Staatskosten Posten aufzustellen. Den nächsten Tag statteten mir der Obrist von Pury, der General-Procurator Meuron, der Gerichtsverwalter Martinet, der Steuererheber Guyenet, der Rentmeister von Ivernois und sein Vater, mit einem Worte alle Leute von Einfluß im Orte ihren Besuch ab und vereinigten ihre Bitten, um mich dahin zu bewegen, dem Sturme zu weichen und wenigstens für eine Zeit von einer Pfarrei fern zu bleiben, in der ich nicht mehr in Sicherheit und in Ehren wohnen könnte. Ich bemerkte sogar, daß der Gerichtsverwalter, entsetzt über die Wuth dieses wahnsinnigen Volkes und von der Besorgnis erfüllt, sie könnte sich auf ihn ausdehnen, sehr froh gewesen wäre, mich augenblicklich abreisen zu sehen, damit er mich nicht mehr zu beschützen brauchte und selbst den Ort verlassen könnte, wie er gleich nach meiner Abreise that. Ich gab deshalb nach und sogar ohne große Mühe, denn der Anblick des Volkshasses rief in mir eine Herzbeklemmung hervor, die ich nicht länger auszuhalten vermochte. [Fußnote: Diese Steinigung, von der Rousseau eine so ausführliche Erzählung giebt, daß man gar nicht annehmen kann, er habe sich alle diese Umstände nur zu seiner Belustigung ersonnen, ist gleichwohl in Zweifel gezogen, und die, welche die Wahrheit dieses Vorfalls bestreiten, haben ebenfalls Anspruch auf das Vertrauen des Lesers. Herr Servan will von einem glaubwürdigen Manne, der Rousseau den nächsten Tag selbst einen Besuch abstattete, vernommen haben, daß die von dem im Zimmer gefundenen Steinen in den Scheiben herrührenden Löcher kleiner waren als die Steine selbst, und er erblickt darin nur einen Streich von Rousseaus Haushälterin, um ihren Herrn zu bestimmen, ein Land zu verlassen, in dem sie sich langweilte.]
Ich hatte die Wahl unter mehr als einem Zufluchtsorte. Seit der Rückkehr der Frau von Verdelin nach Paris hatte sie mir in mehreren Briefen von einem von ihr als Lord bezeichneten Herrn Walpole erzählt, der, von Begeisterung für mich erfüllt, mir ein Asyl auf einem seiner Güter anbot, von dem sie mir die freundlichste Schilderung machte und dabei in Bezug auf Wohnung und Unterhalt in Einzelheiten einging, die mich erkennen ließen, in wie
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