Rousseau's Bekenntnisse
hohem Grade der erwähnte Lord Walpole sich im Verein mit ihr mit diesem Plane beschäftigte. Mylord Marschall hatte mir stets zu England oder Schottland gerathen und bot mir daselbst ebenfalls eine Zuflucht an, aber er bot mir auch eine an, die mich noch weit mehr in Versuchung führte, nämlich bei ihm in Potsdam. Er hatte mir eine Aeußerung des Königs über mich mitgetheilt, in der eine Art Einladung lag, mich zu ihm zu begeben; und die Frau Herzogin von Sachsen-Gotha rechnete so zuversichtlich auf meine baldige Abreise nach Potsdam, daß sie mich dringend einlud, sie auf der Durchreise zu besuchen und mich einige Zeit bei ihr aufzuhalten. Aber ich hatte eine solche Anhänglichkeit an die Schweiz, daß ich mich sie zu verlassen nicht entschließen konnte, so lange es mir möglich sein würde, in ihr zu leben, und ich benutzte diese Zeit, ein Vorhaben auszuführen, mit dem ich mich seit einigen Monaten trug und von dem ich noch nicht reden konnte, um den Faden meiner Erzählung nicht abzubrechen.
Mein Vorsatz bestand darin, mich auf der mitten im Bieler See gelegenen Insel Saint-Pierre, die zu dem Grundeigenthume des Berner Armen- und Krankenhauses gehörte, niederzulassen. Auf einer Fußreise, die ich den vorhergehenden Sommer mit Du Peyrou gemacht, hatten wir diese Insel besucht, und ich war von ihr so entzückt gewesen, daß ich seitdem nicht aufgehört hatte, über den Weg nachzudenken, auf welchem ich es dahin bringen konnte, mich auf ihr häuslich einzurichten. Das größte Hindernis war, daß die Insel den Bernern gehörte, die mich vor drei Jahren schändlicherweise aus ihrem Gebiete getrieben hatten, und außerdem daß sich mein Stolz dagegen sträubte, zu Leuten zurückzukehren, die mich so übel aufgenommen hatten, mußte ich auch befürchten, daß sie mich auf dieser Insel nicht mehr in Ruhe lassen würden als in Yverdun. Ich hatte den Mylord Marschall darüber um Rath gefragt, der gleich mir der Ansicht war, die Berner würden sehr froh sein, mich auf dieser Insel in der Zurückgezogenheit zu sehen und mich dort als Geißel für die Schriften festzuhalten, zu deren Abfassung ich mich noch versucht fühlen könnte, und hatte deshalb durch einen Herrn Sturler, seinen alten Nachbar in Colombier, die bei ihnen darüber herrschende Gesinnung sondiren lassen. Herr Sturler wandte sich an verschiedene hohe Staatsbeamte und auf ihre Mittheilungen hin versicherte Mylord Marschall, daß die Berner, voller Scham über ihr früheres Benehmen, nichts Besseres verlangten, als mich auf der Insel Saint-Pierre ansässig zu sehen, und mich dort in Ruhe zu lassen. Ehe ich meinen Wohnsitz daselbst aufzuschlagen wagte, ließ ich im Uebermaß der Vorsicht neue Erkundigungen durch den Obrist Chaillet einziehen, der mir dasselbe versicherte; und da der Steuererheber der Insel von seiner Behörde die Erlaubnis erhalten hatte, mich bei sich aufzunehmen, so glaubte ich bei der stillschweigenden Genehmigung sowohl der Regierung wie der Eigenthümer nichts zu wagen, wenn ich mich bei ihm niederließ, denn ich konnte doch unmöglich hoffen, daß die Herren von Bern die Ungerechtigkeit, die sie mir zugefügt, offen anerkennen und dadurch gegen den unverletzlichen Grundsatz aller Regierenden sündigen würden.
Die mitten im Bieler See gelegene Insel Saint-Pierre, in Neufchâtel Mothe genannt, hat einen Umfang von ungefähr einer halben Stunde; aber auf dieser kleinen Fläche bringt sie alle zum Leben nöthigen Haupterzeugnisse hervor. Sie hat Felder, Wiesen, Obstgärten, Waldungen, Weinberge, und das alles bildet in Folge eines abwechselnden und gebirgigen Terrains eine mir so angenehmere Vertheilung, als die Schönheiten der Gegend nicht alle auf einmal hervortreten, sondern sich gegenseitig hervorheben und die Insel größer erscheinen lassen, als sie in Wahrheit ist. Eine sehr hochgelegene Terrasse bildet die nach Gleresse und Bonneville hinauslegende Westseite der Insel. Man hat diese Terrasse mit einer langen Allee bepflanzt, die man in der Mitte durch einen großen hallenartigen Raum unterbrochen hat, in dem man sich während der Weinlese des Sonntags von allen Ufern der Nachbarschaft versammelt, um zu tanzen und sich zu unterhalten. Es giebt auf der Insel nur ein einziges, aber geräumiges und bequemes Haus, in dem der Steuererheber wohnt und das in einer Vertiefung liegt, welche es gegen die Winde schützt.
Fünf- oder sechshundert Schritt südlich von der Insel liegt eine andere, noch weit kleinere, unbebaute und wüste
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