Rousseau's Bekenntnisse
Kleinigkeiten, beginne hunderterlei Dinge und vollende keines, gehe und komme, wie es mir einfällt, ändere jeden Augenblick mein Vorhaben, folge einer Fliege in ihrem Fluge, versuche einen Felsen umzustürzen, um zu sehen, was darunter ist, beginne mit Feuereifer eine zehnjährige Arbeit und gebe sie schon nach zehn Minuten ohne Bedauern auf, kurz vertändle den ganzen Tag ohne Plan und Ordnung und folge in allem nur der Laune des Augenblicks.
Wie ich die Botanik immer betrachtet habe und wie sie meine Leidenschaft zu werden begann, war sie auch nur ein müßiges Studium, geeignet, die ganze Leere meiner Muße auszufüllen, ohne den Ausschweifungen der Einbildungskraft oder der Langeweile einer völligen Unthätigkeit Platz zu gewähren. Behaglich durch Wald und Flur umherstreifen, mechanisch hier und da bald eine Blume sammeln, bald einen Zweig abbrechen, auf gutes Glück eine Blüte nach der andern aussaugen, tausend und tausend Mal dieselben Dinge und immer mit gleichem Interesse beobachten, weil ich sie beständig vergaß, das war, womit ich die Ewigkeit hätte zubringen können, ohne auch nur einen Augenblick Langeweile zu empfinden. Wie zierlich, wie bewunderungswürdig, wie verschieden der Bau der Pflanzen auch sein möge, so ist er für ein ungeschultes Auge doch nicht so auffallend, um es anzuziehen. Diese unwandelbare Aehnlichkeit und doch diese wunderbare Verschiedenheit, die in ihrer Organisation herrscht, entzückt nur die, welche bereits eine gewisse Vorstellung von der Pflanzenkunde haben. Die Andren haben beim Anblick aller dieser Schätze der Natur nur eine stumpfsinnige und einförmige Bewunderung. Sie gewahren nichts im Einzelnen, weil sie nicht einmal wissen, was sie anblicken müssen, und sie sehen eben so wenig das Ganze, weil sie keine Vorstellung von dieser Verkettung der Beziehungen und Verbindungen haben, welche den Geist des Beobachters mit ihren Wundern überwältigt. Bei meinem schwachen Gedächtnisse erhielt ich mich auf der glücklichen Stufe, wenig genug zu wissen, so daß mir alles neu blieb, und genug, so daß mir alles verständlich war. Die verschiedenen Bodenarten, die auf der Insel trotz ihrer Kleinheit hervortraten, boten mir eine hinreichende Abwechselung von Pflanzen zum Studium und zur Unterhaltung für meine ganze Lebenszeit dar. Kein Grashälmchen wollte ich ununtersucht lassen und ich schickte mich bereits an, um unter Hinzufügung einer ungeheuren Sammlung merkwürdiger Beobachtungen die Flora Petrinsularis zu schreiben.
Ich ließ Therese mit meinen Büchern und Sachen kommen. Wir gaben uns bei dem Steuererheber der Insel in Pension. Seine Frau hatte Schwestern in Nidan, welche der Reihe nach zum Besuch erschienen und Theresen Gesellschaft leisteten. Ich empfand da die ganze Würze eines süßen Lebens, das ich immerdar hätte genießen mögen; aber die Lust, die es mir gewährte, diente nur dazu, mir die Bitterkeit des Lebens, welches so bald darauf folgen sollte, nur desto fühlbarer zu machen.
Ich habe das Wasser immer leidenschaftlich geliebt, und sein Anblick versenkt mich in eine köstliche Träumerei, wenn auch oft ohne bestimmten Gegenstand. Ich verabsäumte nie, wenn es schönes Wetter war, unmittelbar nach dem Aufstehen auf die Terrasse hinauszueilen, um die gesunde und frische Morgenluft einzuathmen, und die Blicke über den Horizont dieses schönen Sees schweifen zu lassen, dessen Ufer mit den ihn umringenden Bergen mein Auge entzückten. Meines Erachtens giebt es keine der Gottheit würdigere Huldigung als diese stumme Bewunderung, welche die Betrachtung ihrer Werke erregt und sich nicht in äußeren Handlungen zu erkennen giebt. Ich begreife, wie die Bewohner der Städte, die nichts als Straßen, Mauern und Schlechtigkeiten sehen, wenig Glauben haben, aber ich kann nicht begreifen, wie Landleute, und namentlich einsam wohnende, keinen haben können. Wie erhebt sich ihre Seele nicht täglich hundertmal mit Begeisterung zum Schöpfer der Wunderwerke, die sich ihren Augen darbieten? Mich persönlich treibt namentlich nach dem Aufstehen, wenn ich von Schlaflosigkeit ermattet bin, eine lange Gewohnheit zu solchen Herzenserhebungen, die mir keine Anstrengung des Denkens auferlegen. Aber meine Augen müssen sich dazu an dem entzückenden Schauspiele der Natur weiden können. In meinem Zimmer bete ich seltener und weniger warmen Herzens; aber bei dem Anblick einer schönen Landschaft fühle ich mich bewegt, ohne sagen zu können wodurch. Ein frommer Bischof
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