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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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von allen Sorgen frei fühlte, kam, um mich in den Stunden der Mahlzeiten zwanglos zu erheitern. Den ganzen übrigen Tag mitten im Walde weilend, suchte und fand ich das Bild der Urzeit, deren Geschichte ich in kühnen Umrissen entwarf; ich deckte die kleinen Lügen der Menschen auf; ich wagte ihre Natur bis zur Nacktheit bloß zu stellen, ihre fortschreitende Entstellung durch Zeiten und Dinge darzuthun, und indem ich den Menschen, wie er durch seine Mitmenschen geworden, mit dem Menschen der Natur verglich, hatte ich den Muth, ihm gerade in seiner vermeintlichen Vervollkommnung die eigentliche Quelle seines Elends zu zeigen. Meine durch diese erhabenen Betrachtungen beschwingte Seele erhob sich an die Seite der Gottheit und von dort sehend, wie meine Mitgeschöpfe in der Blindheit ihrer Vorurtheile immer auf dem Wege ihrer Irrthümer, ihrer Leiden und ihrer Verbrechen blieben, rief ich ihnen mit einer schwachen Stimme, die sie nicht zu vernehmen vermochten, zu: »Wahnsinnige, die ihr unaufhörlich über die Natur klagt, lernet, daß alle eure Uebel in euch selber ihre Quelle haben.«
    Aus diesen Betrachtungen entstand die Abhandlung über die Ungleichheit, ein Werk, das Diderot besser gefiel als alle meine andern Schriften und für das mir seine Rathschläge äußerst nützlich waren, [Fußnote: Als ich dies schrieb, ahnte ich das große Complot Diderots und Grimms noch nicht, sonst würde ich leicht erkannt haben, einen wie großen Mißbrauch ersterer mit meinem Vertrauen trieb, um meinen Schriften diese harte Sprache und das düstere Colorit zu geben, die sie nicht mehr hatten, als er mich zu leiten aufhörte. Das Bild des Philosophen, der sich bei seinen hochtrabenden Schlußfolgerungen die Ohren zustopft, um sich gegen die Klagen eines Unglücklichen zu verhärten, hat er mir eingegeben; und auch andere noch stärkere hatte er mir anempfohlen, zu deren Benutzung ich mich jedoch nicht entschließen konnte. Aber da ich seine düstere Stimmung als eine Nachwirkung seines Aufenthaltes im Thurm zu Vincennes betrachtete, von der man noch in seinem Clairval eine ziemlich starke Beigabe findet, so fiel es mir nicht ein, die geringste böse Absicht dabei zu argwöhnen.] das aber in ganz Europa nur wenige Leser fand, die es verstanden, und unter diesen keinen, der davon reden mochte. Es war zur Preisbewerbung verfaßt; ich sandte es also ein, wenn auch im voraus dessen sicher, daß es den Preis nicht bekommen würde, und in dem Bewußtsein, daß für derartige Arbeiten die Preise der Akademien nicht gestiftet sind.
    Dieser Ausflug und diese Beschäftigung wirkten auf meine Stimmung wie auf meine Gesundheit vorteilhaft. Bereits seit mehreren Jahren hatte ich mich, von meiner Urinverhaltung gequält, den Aerzten völlig überlassen, die, ohne mir Linderung zu verschaffen, meine Kräfte erschöpft und meinen Körper geschwächt hatten. Nach der Rückkehr von Saint-Germain merkte ich eine Zunahme meiner Kräfte und fühlte mich weit wohler. Ich folgte diesem Winke und entschlossen, ohne Aerzte und ohne Heilmittel zu genesen oder zu sterben, verzichtete ich auf sie für immer und behalf mich, so gut es gehen wollte, blieb still im Winkel, wenn ich nicht gehen konnte, und ging, sobald ich Kraft dazu hatte. Das Pariser Treiben unter den anspruchsvollen Leuten behagte mir so wenig, die Ränke der Schriftsteller, ihre schmachvollen Zänkereien, ihre Unaufrichtigkeit in ihren Werken, ihr anmaßendes Wesen im gegenseitigen Verkehr waren mir so verhaßt, so meiner Natur widerstrebend, ich fand, sogar im Umgange mit meinen Freunden, so wenig Freundlichkeit, Offenherzigkeit und Freimüthigkeit, daß ich, von diesem lärmenden Leben widerwärtig berührt, mich leidenschaftlich nach einem Aufenthalte auf dem Lande zu sehnen begann, und da ich einsah, daß mir mein Geschäft ihn nicht gestattete, beeilte ich mich, wenigstens meine Freistunden daselbst zuzubringen. Mehrere Monate lang ging ich, anfangs gleich nach Tische, allein im Boulogner Walde spazieren, wobei ich die Stoffe zu meinen Arbeiten überdachte, und kehrte erst mit einbrechender Nacht zurück.

1754 – 1756
    Da Gauffecourt, mit dem ich damals auf außerordentlich freundschaftlichem Fuße stand, genöthigt war, eine Geschäftsreise nach Genf zu machen, so forderte er mich auf, ihn zu begleiten; ich nahm den Vorschlag an. Ich fühlte mich damals nicht so wohl, daß ich Theresens Pflege hätte entbehren können; es wurde deshalb bestimmt, sie sollte unsere Reisegefährtin

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