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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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ihres Herzens zu erzählen. Als letztes Kleinod war ihr nur ein kleiner Ring geblieben. Sie zog ihn vom Finger, um ihn an den Theresens zu stecken, welche ihn sofort wieder auf den ihrigen streifte, wobei sie diese edle Hand, die sie mit ihren Thränen netzte, küßte. Ach, damals war der richtige Augenblick, meine Schuld abzutragen. Ich mußte alles verlassen, ihr zu folgen, mich bis zu ihrer letzten Stunde nicht wieder von ihr trennen und ihr Loos theilen, wie es sich auch gestalten mochte. Ich that nichts davon. Abgezogen durch ein anderes Liebesverhältnis, fühlte ich, wie meine Anhänglichkeit an sie nachließ, da mir die Hoffnung fehlte, daß sie ihr noch zum Heile gereichen könnte. Ich seufzte über sie und folgte ihr nicht. Von allen Gewissensbissen, die ich im Leben empfunden, ist dies der nagendste und am längsten anhaltende. Schon hierfür verdiente ich die furchtbaren Strafen, die seitdem nicht aufgehört haben, mich niederzubeugen. Mögen sie im Stande gewesen sein, meine Undankbarkeit zu sühnen! Sie lag in meinem Verfahren offen zu Tage; aber sie hat mein Herz zu tief zerrissen, als daß dieses Herz je das eines wirklich Undankbaren hätte sein sollen.
    Vor meiner Abreise von Paris hatte ich die Widmung meiner »Abhandlung über die Ungleichheit« in flüchtigen Umrissen entworfen. Ich vollendete sie in Chambery und datirte sie von demselben Orte aus, weil ich es zur Vermeidung aller kleinlichen Angriffe für besser erachtete, sie weder aus Frankreich noch aus Genf zu datiren. In letzterer Stadt angekommen, überließ ich mich dem republikanischen Enthusiasmus, der mich dorthin geführt hatte. Dieser Enthusiasmus steigerte sich noch bei der Aufnahme, die mir zu Theil wurde. In allen Standesklassen gefeiert und geschmeichelt, gab ich mich völlig der patriotischen Begeisterung hin und beschämt, mich durch das Bekenntnis einer anderen Religion als der meiner Väter von meinen Bürgerrechten ausgeschlossen zu sehen, faßte ich den Entschluß, zu meinem alten Glauben offen zurückzukehren. Da das Evangelium für alle Christen dasselbe ist, und der Unterschied der Dogmen im Grunde nur darauf beruht, daß man das, was man unfähig zu verstehen war, erklären wollte, so war ich der Ansicht, daß es in jedem Lande allein dem Herrscher zukäme, den Cultus und dieses unverständliche Dogma festzusetzen, und daß es folglich Pflicht des Bürgers wäre, das durch das Gesetz vorgeschriebene Dogma als wahr anzuerkennen und den Cultus zu beobachten. Der Umgang mit den Encyklopädisten hatte, weit davon entfernt, meinen Glauben zu erschüttern, ihn vielmehr in Folge meiner natürlichen Abneigung gegen Zwistigkeit und Parteiwesen nur noch befestigt. Das Studium des Menschen und der Welt hatte mir überall die Endzwecke und das geistige Wesen, das bestimmend auf sie einwirkte, gezeigt. Das Lesen der Bibel und namentlich des Evangeliums, auf das ich mich seit einigen Jahren mit Fleiß gelegt, hatte mich mit Verachtung gegen die oberflächlichen und einfältigen Auslegungen erfüllt, welche Leute, die am wenigsten würdig waren, Jesus Christus zu verstehen, seiner Lehre gaben. Mit einem Worte, dadurch daß die Philosophie mich dazu trieb, mich an das Wesentliche der Religion zu halten, hatte sie mich zugleich von diesem kleinlichen Formelkram frei gemacht, mit dem die Menschen sie verdunkelt haben. In Erwägung, daß es für einen vernünftigen Menschen nicht zwei Arten geben könnte, Christ zu sein, war ich auch der Ansicht, daß alles, was sich auf Form und Disciplin bezog, in jedem Lande gesetzlich zu ordnen wäre. Aus diesem so vernünftigen, so socialen, so friedfertigen Grundsatze, der mir demungeachtet so grausame Verfolgungen zugezogen hat, ergab sich, daß ich, wollte ich Bürger sein, wieder Protestant werden und zu dem in meiner Heimat herrschenden Cultus zurückkehren mußte. Ich entschloß mich dazu und unterwarf mich sogar dem Unterrichte des Pastors, in dessen außerhalb der Stadt gelegenen Pfarrei ich wohnte. Ich sprach lediglich den Wunsch aus, nicht gezwungen zu werden, vor dem Consistorium zu erscheinen. Hierüber gab es indessen ausdrückliche kirchliche Bestimmungen; man wollte jedoch zu meinen Gunsten nicht den vollen Gebrauch davon machen und ernannte eine Commission von fünf oder sechs Mitgliedern, um unter Vermeidung der Oeffentlichkeit mein Glaubensbekenntnis entgegenzunehmen. Unglücklicherweise gerieth der Prediger Perdriau, ein liebenswürdiger und wohlwollender Mann, mit dem ich

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