Rousseau's Bekenntnisse
dann zum Vorschein gekommen, und wie viele Mühe würde man sich gegeben haben, sie ans Tageslicht zu bringen! Aber nichts von dem allen; vergeblich war alle Mühe; man hat in meiner Musik nicht die geringste Reminiszenz aus einer andern gefunden, und bei dem Vergleiche mit den angeblichen Originalen haben sich alle meine Lieder neu gezeigt wie der von mir geschaffene Charakter der Musik. Hätte man Mondonville oder Nameau einer solchen Probe unterzogen, wären sie nur in Fetzen daraus hervorgegangen.
Die komischen Opern gewannen der italienischen Musik sehr begeisterte Anhänger. Ganz Paris theilte sich in zwei Parteien, die sich hitziger bekämpften, als wenn es sich um eine staatliche oder kirchliche Angelegenheit gehandelt hätte. Die eine, mächtiger und zahlreicher, welche von den Großen, den Reichen und den Frauen gebildet wurde, trat für die französische Musik in die Schranken; die andere, leidenschaftlicher, stolzer und schwärmerischer, bestand aus den wahren Kennern, den geistreichen und genialen Leuten. Ihre kleine Schaar versammelte sich in der Oper unter der Loge der Königin. Die andere Partei füllte den ganzen Rest des Parterre und des Saales aus, aber ihr Haupttreffen stand unter der Loge des Königs. Daher rührten die in jener Zeit so berühmten Parteinamen: »die Ecke des Königs« und »die Ecke der Königin«. Der immer lebhafter entbrennende Streit rief Broschüren hervor. Die Ecke des Königs wollte spotten; der »Kleine Prophet« machte sie lächerlich; sie machte den Versuch, sich auf eine eingehende Besprechung zu verlegen; sie wurde durch den »Brief über die französische Musik« vernichtet. Diese beiden kleinen Schriften, die eine von Grimm und die andere von mir, sind die einzigen, welche diesen Streit überlebt haben; alle übrige sind längst vergessen.
Aber der »Kleine Prophet«, den man mir zum Trotze mir lange Zeit hartnäckig zuschrieb, wurde als Scherz aufgefaßt und hatte für seinen Verfasser nicht die geringste Unannehmlichkeit zur Folge, während der »Brief über die Musik« die ganze Nation, die sich in ihrer Musik für beleidigt hielt, gegen mich aufregte. Die Schilderung der unglaublichen Wirkung dieser Broschüre wäre der Feder eines Tacitus würdig. Es war gerade die Zeit der großen Zwistigkeit zwischen dem Parlamente und dem Klerus. Das Parlament war eben verwiesen worden; die Gährung hatte ihren Höhepunkt erreicht; alles ließ einen nahen Aufstand befürchten. Meine Broschüre erschien; im Augenblick waren alle andern Streitigkeiten vergessen; man dachte nur noch an die der französischen Musik drohende Gefahr, und es gab keinen andern Aufstand mehr als gegen mich. Er war dergestalt, daß die Nation ihn nie ganz vergessen hat. Bei Hofe schwankte man nur zwischen Bastille und Verbannung, und der Haftbefehl wäre ausgefertigt worden, wenn Herr von Voyer nicht das Lächerliche eines solchen Vorgehens gezeigt hätte. Wenn man vernehmen wird, daß diese Broschüre vielleicht eine Revolution im Staate verhindert hat, wird man zu träumen glauben. Und gleichwohl ist es eine vollkommen zuverlässige Wahrheit, welche ganz Paris noch bezeugen kann, da zwischen diesem wunderlichen Ereignisse und heute erst fünfzehn Jahre liegen.
Wenn man sich an meiner Freiheit nicht vergriff, so ersparte man mir wenigstens Beleidigungen nicht, selbst mein Leben war in Gefahr. Das Orchester der Oper machte eine förmliche Verschwörung, mich beim Verlassen des Schauspielhauses zu ermorden. Man theilte es mir mit; ich besuchte die Oper nur desto fleißiger und erst lange nachher erfuhr ich, daß Herr Ancelet, Officier bei der adeligen Leibwache, der mich liebgewonnen, die Ausführung der Verschwörung verhindert hatte, indem er mich auf dem Rückwege von dem Schauspielhause ohne mein Wissen begleiten ließ. Die Stadt hatte vor kurzem die Leitung der Oper übernommen. Die erste Heldenthat des Oberbürgermeisters bestand darin, mir den freien Eintritt entziehen zu lassen, und noch dazu auf die möglichst unhöfliche Art, indem er ihn mir nämlich bei meinem Kommen öffentlich verweigern ließ, so daß ich mich genöthigt sah, ein Amphitheaterbillet zu kaufen, um nicht die Schande zu haben, an diesem Tage umkehren zu müssen. Die Ungerechtigkeit war um so schreiender, da ich mir bei Abtretung meines Stückes den lebenslänglichen freien Eintritt als einzige Entschädigung ausgemacht hatte, denn obgleich dies ein Recht für alle Verfasser der angenommenen Stücke war und es mir aus
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