Rousseau's Bekenntnisse
befreundet war, auf den Einfall, mir zu sagen, daß man sich darauf freute, mich in dieser kleinen Versammlung reden zu hören. Diese Erwartung erschreckte mich dermaßen, daß ich, nachdem ich eine kleine Rede, die ich ausgearbeitet, drei Wochen lang Tag und Nacht gelernt hatte, als ich sie hätte vortragen sollen, bis zu dem Grade verlegen wurde, daß ich nicht ein einziges Wort hervorbringen konnte und in dieser Disputation die Rolle des dümmsten Schuljungen spielte. Die Mitglieder der Commission redeten für mich, ich antwortete einfältig nur ja und nein; darauf wurde ich zum Abendmahle zugelassen und in meine Bürgerrechte wiedereingesetzt. In meiner Eigenschaft als Bürger wurde ich nun in die Liste der Stadtwache eingetragen, zu der nur der höhere Bürgerstand und die Meister zugelassen werden, und ich wohnte einem außerordentlichen Generalrathe bei, um von dem Syndikus Mussard die Eidesformel zu erhalten. Ich wurde von den Freundschaftserweisungen, die mir bei dieser Gelegenheit von dem Rathe und dem Consistorium zu Theil wurden, und von dem verbindlichen und artigen Entgegenkommen aller Behörden, Prediger und Bürger so gerührt, daß ich, von dem ehrlichen Deluc, der mich unaufhörlich bestürmte, und noch mehr von meiner eigenen Neigung gedrängt, nur daran dachte nach Paris zurückzukehren, um meine dortige Wirthschaft aufzulösen, meine kleinen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, Frau Le Vasseur und ihrem Manne ein Unterkommen zu verschaffen oder für ihren Unterhalt zu sorgen und mit Therese zurückzukehren, um mich für meine übrigen Lebenstage in Genf niederzulassen.
Nachdem ich einmal diesen Entschluß gefaßt hatte, ließ ich alle ernste Dinge bei Seite liegen, um mich bis zur Zeit meiner Abreise nur mit meinen Freunden zu ergötzen. Am meisten unter allen diesen Lustbarkeiten gefiel mir eine Gondelfahrt um den See herum, die ich mit Deluc, dem Vater, seiner Schwiegertochter, seinen beiden Söhnen und meiner Therese machte. Wir gebrauchten beim schönsten Wetter von der Welt sieben Tage zu dieser Rundfahrt. Ich bewahrte davon die lebhafte Erinnerung an die landschaftlichen Schönheiten, die mir am andern Ende des Sees aufgefallen waren, und die ich einige Jahre später in der »Neuen Heloise« schilderte.
Zu den hauptsächlichsten Freunden, die ich mir in Genf erwarb, gehörten außer den bereits erwähnten Delucs der junge Prediger Vernes, den ich schon in Paris kennen gelernt hatte, und der den Erwartungen, die ich von ihm hegte, später nicht entsprach; Herr Perdriau, damals Landpfarrer, gegenwärtig Professor der schönen Literatur, dessen angenehmer und gefälliger Umgang mir stets unvergeßlich sein wird, obgleich er es für nöthig erachtet hat, sich auf seine Manier von mir zurückzuziehen; Herr Jalabert, damals Professor der Physik, später Rath und Syndikus, dem ich meine »Abhandlung über die Ungleichheit«, jedoch mit Ueberschlagung der Widmung vorlas, und der von ihr begeistert schien; der Professor Lullin, mit dem ich bis zu seinem Tode in Briefwechsel geblieben bin und der mir sogar Einkäufe für die Bibliothek übertragen hatte; der Professor Vernet, der mir wie alle Welt den Rücken wandte, nachdem ich ihm Beweise von Liebe und Vertrauen gegeben hatte, die ihn hätten rühren müssen, wenn ein Theologe überhaupt von etwas gerührt werden könnte; Chappuis, der Gehilfe und Nachfolger Gauffecourts, den er verdrängen wollte, und der bald selbst verdrängt wurde, Marcet von Mézières, ein alter Freund meines Vaters, der sich auch als der meinige bewiesen hatte, der aber, nachdem er sich als dramatischer Schriftsteller und Candidat für die Zweihundert einst um das Vaterland wohl verdient gemacht, seine Grundsätze wechselte und vor seinem Tode lächerlich wurde. Allein derjenige von allen, von dem ich das Meiste erwartete, war Moultou, ein junger, wegen seiner Talente und seines Feuergeistes vielversprechender Mann, den ich immer geliebt habe, obgleich sein Betragen hinsichtlich meiner Person zweideutig gewesen ist und er mit meinen grausamsten Feinden Verbindungen unterhält. Trotz allem dem halte ich ihn immer noch für berufen, eines Tages als der Vertheidiger meines Andenkens und der Rächer seines Freundes aufzutreten.
Inmitten dieser Zerstreuungen verlor ich nicht den Geschmack an meinen gewohnten einsamen Spaziergängen und machte oft ziemlich weite an den Ufern des Sees, auf denen mein an die Arbeit gewöhnter Kopf nicht müßig blieb. Ich durchdachte den
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