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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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wäre es schmeichelhaft gewesen zu sehen, daß die todtgeborenen Werke ihres Freundes wieder von ihrem Secretäre zu neuem Leben erweckt würden. Diese Werke enthielten übrigens unläugbar ausgezeichnete Sachen, aber in einer so schlechten Ausdrucksweise, daß man sich nur schwer zu ihrem Studium entschließen konnte. Es ist seltsam, daß der Abbé von Saint-Pierre, der seine Leser wie große Kinder betrachtete, zu ihnen trotzdem wie zu Männern redete, bei denen eine gefällige Darstellungsform unnöthig wäre. Aus diesem Grunde hatte man mir diese Arbeit als eine an sich nützliche und für mich sehr passende vorgeschlagen, da ich, wenn auch bei der Ausführung eines Werkes thätig, beim Entwerfen äußerst langsam und träge war, kurz ein Mann, der die Mühe des Denkens sehr ermüdend fand und es deshalb bei Dingen, die nach seinem Geschmacke waren, vorzog, die Ideen eines andern klar darzulegen und zur Geltung zu bringen, als selbst solche zu ersinnen. Da ich überdies nicht auf die blose Erklärung seiner Schriften beschränkt war, so war es mir nicht verwehrt, hin und wieder meine eigenen Gedanken auszusprechen, und ich konnte meinem Werke eine solche Form geben, daß viele wichtige Wahrheiten unter dem Mantel des Abbé von Saint-Pierre noch weit sicherer durchschlüpften als unter dem meinigen. Die Arbeit war übrigens nicht leicht; es handelte sich um nichts weniger als um die Aufgabe, dreiundzwanzig weitschweifige und verworrene Bände voll endloser Tiraden und Wiederholungen zu lesen, zu durchdenken und aus ihnen Auszüge zu machen. Aus all den kurzsichtigen oder falschen Ansichten galt es nun einige große und schöne Gedanken aufzufischen, die den Muth gaben, diese mühselige Arbeit auszuhalten. Ich hätte sie oft gern aufgegeben, hätte ich mich anständigerweise von ihr lossagen können, aber bei der Empfangnahme der Manuscripte des Abbé, die mir auf Saint-Lamberts Bitten sein Neffe, der Graf von Saint-Pierre, überreichte, hatte ich mich gewissermaßen verpflichtet, Gebrauch von ihnen zu machen, und ich mußte sie entweder zurückgeben oder versuchen, die versprochene Arbeit auszuführen. In letzterer Absicht hatte ich diese Manuscripte mit nach der Eremitage genommen und beabsichtigte, auf diese Arbeit zuerst meine Muße zu verwenden.
    Noch eine dritte hatte ich vor, zu der ich die Idee an mir selbst angestellten Beobachtungen verdankte, und ich fühlte um so mehr Muth, mich an sie zu machen, da ich gegründete Hoffnung hegte, ein der Menschheit wahrhaft nützliches Buch zu liefern und sogar eines der nützlichsten, das man ihr darbieten könnte, falls die Ausführung dem von mir entworfenen Plane in würdiger Weise entspräche. Die meisten Menschen sind sich, wie durch Beobachtungen festgestellt ist, im Laufe ihres Lebens oft selbst sehr unähnlich und scheinen sich in ganz andere Menschen zu verwandeln. Nicht zur Darlegung einer so bekannten Thatsache wollte ich ein Buch schreiben, ich hatte noch einen neueren und wichtigeren Gegenstand im Auge: es galt die Aufsuchung der Ursachen dieser Wandlungen und die Feststellung derjenigen, die von uns abhängen, um nachzuweisen, wie wir selbst sie zu leiten vermöchten, um uns besser und charakterfester zu machen. Denn ohne Widerspruch ist es für den rechtlichen Menschen schwieriger, den schon völlig ausgebildeten Trieben, die er besiegen muß, zu widerstehen, als diesen nämlichen Trieben noch in ihrer Quelle, falls er im Stande sein sollte, ihnen bis dahin nachzugehen, vorzubeugen, eine andere Richtung zu geben oder sie doch abzuschwächen. Ein Mann, der versucht wird, widersteht einmal, weil er stark ist, und unterliegt ein anderes Mal, weil er schwach ist; wäre er noch derselbe wie früher gewesen, so würde er nicht unterlegen sein.
    Indem ich mich selbst prüfte und an andern Forschungen anstellte, worauf diese verschiedenen Arten zu sein beruhten, erkannte ich, daß sie großentheils von dem vorher auf uns ausgeübten Eindrucke der äußeren Gegenstände herrührten, und daß wir, unaufhörlich durch unsere Sinne und Organe verändert, in unsern Vorstellungen, in unsern Gefühlen, sogar in unsern Handlungen unbewußt die Wirkung dieser Wandlungen mit uns trügen. Die schlagenden und zahlreichen Beobachtungen, die ich gesammelt hatte, ließen keinen Widerspruch zu und schienen nur aus physischen Gründen geeignet eine äußere Lebensordnung darzubieten, die, je nach den Umständen wechselnd, die Seele in den der Tugend günstigsten Zustand

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