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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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andere gleicher Art in mir wach. Bald sah ich alle, die mir in meiner Jugend Leben und Seligkeit eingehaucht hatten, um mich versammelt: Fräulein Galley, Fräulein von Graffenried, Fräulein von Breil, Frau Bazile, Frau von Larnage, meine niedlichen Schülerinnen und sogar die reizende Zulietta, die mein Herz nicht vergessen kann. Ich sah mich von einem Serail von Huris, von meinen alten Freundinnen umgeben, nach denen das lebhafteste Verlangen für mich keine neue Empfindung war. Mein Blut erhitzt sich und kocht, der Kopf schwindelt mir trotz meiner schon ergrauenden Haare und der ernste Genfer Bürger, der strenge Jean-Jacques, der fast fünfundvierzig Jahre zählt, ist mit einem Male wahrhaftig wieder der phantastische Schäfer geworden. So plötzlich und närrisch der Rausch, von dem ich befallen wurde, auch war, so hielt er doch an und war so stark, daß es zu meiner Heilung nicht weniger als des unvorhergesehenen und furchtbaren Eintrittes meiner Leiden, in welche er mich gestürzt, bedurft hat.
    Bis zu welchem Grade dieser Rausch aber auch zunahm, so ging er doch nicht so weit, mich mein Alter und meine Lage vergessen zu lassen, nicht so weit, um den Wahn in mir hervorzurufen, noch Liebe einstoßen zu können, nicht so weit, um mich versucht zu fühlen, dieses verzehrende, aber kein Leben mehr erzeugende Feuer, das ich seit meiner Kindheit vergeblich mein Herz verzehren fühlte, in einer andren Brust anzufachen. Ich hoffte es nicht und wünschte es nicht einmal. Ich erkannte, daß die Zeit zu lieben vorüber war; ich fühlte die Lächerlichkeit alter Liebhaber zu sehr, um in sie zu verfallen, und war nicht der Mann dazu, noch im abnehmenden Alter unternehmend und eingebildet zu werden, nachdem ich es in meinen besten Jahren so wenig gewesen war. Als ein Freund des Friedens würde ich übrigens häusliche Stürme gefürchtet haben, und ich liebte meine Therese zu aufrichtig, um sie dem Kummer auszusetzen, mich für andere lebhaftere Gefühle hegen zu sehen, als sie mir einflößte. Was that ich nun unter diesen Umständen? Der Leser hat es gewiß schon errathen, wenn er mir bis hierher getreulich gefolgt ist. Die Unmöglichkeit, mich an die Wirklichkeit zu halten, warf mich in die Welt der Chimären, und da ich unter den lebenden Wesen keines sah, das meiner Begeisterung würdig gewesen, so suchte ich für sie in einer idealen Welt Nahrung, welche meine schöpferische Einbildung bald mit Wesen nach meinem Herzen bevölkert hatte. Nie kam mir dieses Hilfsmittel zu günstigerer Zeit und zeigte sich so vorteilhaft wie jetzt. In meinen fortwährenden Verzückungen berauschte ich mich an Strömen der köstlichsten Empfindungen, die je ein Menschenherz erfüllt haben. Indem ich die Menschheit völlig vergaß, bildete ich mir Gesellschaften von vollkommenen Wesen, eben so himmlisch durch ihre Tugend wie durch ihre Schönheit, von zuverlässigen, zärtlichen und treuen Freunden, kurz von Wesen, wie ich sie nie hienieden gefunden hatte. Ich fand eine solche Freude daran, so inmitten der entzückenden Gegenstände, mit denen ich mich umgeben hatte, im Himmel zu schweben, daß ich Stunden und Tage, ohne sie zu zählen, darin zubrachte, und indem ich alles andere vergaß, brannte ich, nachdem ich kaum in aller Eile einen Bissen gegessen hatte, vor Begierde zu entschlüpfen, um zu meinen schattigen Hainen zurückzukehren. Sah ich, im Begriff nach meiner Zauberwelt aufzubrechen, unglückliche Sterbliche ankommen, welche erschienen, um mich auf Erden zurückzuhalten, so konnte ich meinen Aerger weder mäßigen noch verbergen, und meiner nicht mehr Herr bereitete ich ihnen einen so unfreundlichen Empfang, daß er geradezu grob genannt werden konnte. Das steigerte nur meinen Ruf als Menschenfeind, also gerade durch das, was mir einen ganz entgegengesetzten verschafft hätte, wenn man in meinem Herzen besser zu lesen verstanden.
    Auf dem Höhepunkte meiner Verzückung wurde ich mit einem Male wie ein Papierdrache an dem Bindfaden hinabgezogen und auf den mir von der Natur bestimmten Platz durch einen ziemlich heftigen Anfall meines alten Leidens zurückgebracht. Ich wandte das einzige Mittel, das mir Linderung verschafft hatte, nämlich Harnröhrchen, an und das bereitete meinen himmlischen Liebschaften ein schnelles Ende, denn abgesehen davon, daß man in leidendem Zustande nicht verliebt zu sein pflegt, so ermattet und erstirbt auch meine Einbildungskraft, die sich im Freien und unter den Bäumen belebt, sobald ich mich im

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