Rousseau's Bekenntnisse
heilen sollen, und sie waren vielleicht ein Mittel, welches mir der Himmel darbot, um den unseligen Folgen derselben vorzubeugen; allein mein Unstern war mächtiger, und kaum begann ich wieder auszugehen, als mein Herz, mein Kopf und meine Füße wieder die nämlichen Wege einschlugen. Ich sage die nämlichen, doch nur in gewissen Beziehungen, denn meine jetzt etwas weniger aufgeregten Gedanken blieben diesmal auf der Erde, aber mit einer so ausgesuchten Auswahl alles dessen, was sich Liebenswürdiges in jeder Art darauf finden konnte, daß diese auserlesene Blüte kaum weniger chimärisch war als die eingebildete Welt, der ich den Rücken gewandt hatte.
Ich stellte mir die Liebe und die Freundschaft, diese beiden Abgötter meines Herzens, unter den entzückendsten Bildern vor. Ich gefiel mir darin, sie mit allen Reizen des Geschlechtes, das ich stets angebetet hatte, zu schmücken. Ich dachte mir lieber zwei Freundinnen als zwei Freunde, weil das Beispiel solcher Freundschaft, wenn auch seltener, doch zugleich liebenswürdiger ist. Ich stattete sie mit zwei verwandten, aber doch verschiedenen Charakteren, mit zwei zwar nicht vollendet schönen, aber mir gefallenden Gesichtern aus, die von entgegenkommender Freundlichkeit und Güte belebt wurden. Die eine dachte ich mir braun und die andere blond, die eine lebhaft und die andre sanft, die eine sittig und die andre schwach, aber von einer so rührenden Schwäche, daß die Tugend dabei zu gewinnen schien. Der einen von den beiden theilte ich einen Geliebten zu, dem die andere eine zärtliche Freundin und selbst noch etwas mehr war. Aber ich ließ weder Nebenbuhlerschaft, noch Zänkereien, noch Eifersucht zu, weil es mir schwer fällt, mir unangenehme Gefühle vorzustellen, und ich dieses lachende Bild durch nichts beflecken wollte, was die Natur herabsetzen könnte. Bezaubert von meinen beiden reizenden Idealen, identificirte ich mich, so viel mir möglich war, mit dem Liebhaber und dem Freunde; aber ich dachte ihn mir liebenswürdig und jung, indem ich ihm noch dazu die Tugenden und die Mängel verlieh, die ich an mir wahrnahm.
Um eine für meine Phantome geeignete Stätte aufzufinden, ließ ich die schönsten Gegenden, die ich auf meinen Reisen gesehen hatte, im Geist vor mir vorüberziehen. Aber ich fand keinen Hain mir kühl und schattig genug, keine Landschaft mir rührend genug. Thessaliens Thäler würden, wenn ich sie gesehen hätte, mich nicht haben befriedigen können; aber meine vom ewigen Erfinden ermüdete Seele begehrte eine wirkliche Stätte, die ihr als Anhaltspunkt dienen und mir das wirkliche Vorhandensein der Bewohner, die ich in sie versetzen wollte, vorspiegeln konnte. Lange dachte ich an die borromeischen Inseln, deren entzückender Anblick mich begeistert hatte, doch fand ich dort für meine Gebilde zu viel Schmuck und Kunst. Indessen bedurfte ich eines Sees, und ich wählte endlich den, an dem mein Herz nie umherzuirren aufgehört hat. Ich entschloß mich für den Theil der Ufer dieses Sees, auf welchem meine Wünsche in dem erträumten Glücke, auf das das Schicksal mich beschränkt hat, schon seit lange meinen Wohnsitz aufgeschlagen haben. Der Geburtsort meiner armen Mama hatte außerdem noch einen hervorragenden Reiz für mich. Die Contraste der Oertlichkeit, der Reichthum und die Mannigfaltigkeit der Landschaft, die Pracht und Majestät der ganzen Natur, die die Sinne entzückt, das Herz bewegt, die Seele erhebt, bestimmten mich vollends, und ich gab meinen jungen Lieblingen ein Asyl in Vevay. Das war das erste Ergebnis meiner Phantasie; das Uebrige wurde erst in der Folge hinzugefügt.
Lange beschränkte ich mich auf einen so unbestimmten Plan, weil er hinreichend war, meine Einbildungskraft mit angenehmen Gegenständen und mein Herz mit solchen Gefühlen zu erfüllen, die es gern in sich aufnimmt. Da diese Gebilde immer wieder in meiner Phantasie auftauchten, gewannen sie endlich immer größere Klarheit und nahmen in meinem Geiste feste Gestalt an. Nun stieg der Gedanke in mir auf, einige der Situationen, die mir meine Einbildung vorgegaukelt hatte, auf dem Papiere festzuhalten, und durch Rückerinnerung an alles das, was ich in meiner Jugend empfunden, dem Verlangen nach Liebe, das ich nie hatte befriedigen können und von dem ich mich verzehrt fühlte, gewissermaßen einen neuen Antrieb zu geben.
Zuerst warf ich einige zerstreute Briefe ohne Ordnung und Zusammenhang auf das Papier, und als es mir einfiel, sie aneinander reihen zu
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