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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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sowohl die Beurtheilung wie den Auszug; aber dabei blieb ich stehen, da ich dieses Unternehmen, das ich gar nicht hätte anfangen sollen, nicht fortsetzen wollte.
    Der Gedanke, der mich davon abstehen ließ, liegt auf der Hand und es nimmt Wunder, daß er mir nicht früher gekommen war. Die meisten Schriften des Abbé von Saint-Pierre waren oder enthielten kritische Betrachtungen über einige Zweige der französischen Regierung, und es waren darunter sogar so freimüthige, daß er es sich zum Glück anrechnen konnte, sie ungestraft geschrieben zu haben. Aber in den Ministerien hatte man den Abbé von Saint-Pierre zu jeder Zeit mehr für eine Art Sittenprediger als für einen wahren Politiker angesehen; und man ließ ihn ganz nach Herzenslust reden, weil man klar einsah, daß niemand auf ihn hörte. Hätte ich es dahin gebracht, daß man auf ihn hörte, so wäre es eine ganz andere Sache gewesen. Er war Franzose, ich war es nicht, und sobald ich es mir einfallen ließ, seinen Tadel, wenn auch unter seinem Namen, zu wiederholen, so setzte ich mich der Gefahr aus, daß man mich in recht strenger Weise, aber durchaus nicht mit Unrecht fragte, weshalb ich mich hineinmischte. Glücklicherweise erkannte ich, ehe ich weiter ging, die Schlinge, in der ich mich selbst zu fangen im Begriff stand, und zog mich schnell zurück. Inmitten von Menschen und noch dazu von Menschen, die sämmtlich mächtiger waren als ich, allein lebend, begriff ich, daß ich mich nie, wie ich es auch immer anstellen möchte, gegen das Böse schützen könnte, das sie mir anzuthun geneigt sein würden. Eines hing dabei nur von mir ab: es wenigstens so einzurichten, daß, wenn sie es mir zufügen wollten, sie es nur unrechtmäßiger Weise thun konnten. Dieser Gedanke, der mich dem Abbé von Saint-Pierre abwendig machte, hat mich oft auf noch weit liebere Vorhaben verzichten lassen. Diese Leute, stets bereit, aus dem Unglück ein Verbrechen zu machen, würden sehr erstaunt sein, wenn sie wüßten, wie viel Mühe ich mir mein Lebenlang gegeben habe, damit man mir bei meinen Leiden nie in Wahrheit sagen könnte: »Du hast sie wohl verdient.«
    Nachdem ich diese Arbeit aufgegeben hatte, war ich einige Zeit unschlüssig, welche ich nun aufnehmen sollte, und diese Zwischenzeit der Unthätigkeit war mein Verderben, da ich in Ermangelung eines mich nicht persönlich berührenden Gegenstandes, der mich völlig in Anspruch genommen hätte, während derselben meine Gedanken auf mich selbst richtete. Ich hatte keinen Plan für die Zukunft mehr, bei dem meine Einbildungskraft gern haften geblieben wäre; es war mir nicht einmal mehr möglich, Pläne zu schmieden, weil meine gegenwärtige Lage gerade die war, auf welche sich alle meine Wünsche vereinigt hatten; neue Wünsche konnten in mir nicht mehr aufsteigen, und doch war mein Herz noch immer leer. Dieser Zustand war um so bitterer, als ich keinen wünschenswertheren kannte. Meine zärtlichsten Gefühle hatte ich sämmtlich einer Person nach meinem Herzen zugewandt, die sie erwiderte.
    Ich lebte ohne Zwang und so zu sagen zur eigenen Herzensbefriedigung mit ihr. Gleichwohl verließ mich weder an ihrer Seite noch fern von ihr ein geheimer Herzensdruck. Obgleich ich sie besaß, fühlte ich, daß sie mir noch fern stand, und der blose Gedanke, daß ich ihr nicht alles wäre, bewirkte, daß sie mir fast nichts war.
    Ich hatte Freunde beiderlei Geschlechts, denen ich mit der reinsten Freundschaft, der vollkommensten Hochachtung zugethan war; ich rechnete ihrerseits auf die wahrhafteste Erwiderung und es war mir auch nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen, an ihrer Aufrichtigkeit nur im geringsten zu zweifeln. Gleichwohl war mir diese Freundschaft eher lästig als angenehm und zwar wegen ihrer Hartnäckigkeit und ihres Bestrebens, allen meinen Neigungen, meinen Herzenswünschen, meiner Lebensweise entgegenzutreten, so daß schon mein anscheinendes Verlangen nach etwas, das lediglich mich betraf und mit ihnen gar nichts gemein hatte, hinreichend war, um sie in demselben Augenblicke alle gegen mich Front machen zu sehen, mich zum Verzichte zu zwingen. Diese Hartnäckigkeit, meine Liebhabereien in allem zu beaufsichtigen, um so ungerechter, als ich, weit davon entfernt, die ihrigen zu bekritteln, nicht einmal nach denselben fragte, wurde mir so entsetzlich lästig, daß ich von ihnen schließlich keinen Brief empfing, ohne beim Oeffnen eine gewisse Angst zu empfinden, die sich beim Lesen nur zu sehr gerechtfertigt

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