Rousseau's Bekenntnisse
wollen, kam ich oft in gar große Verlegenheit. So unglaublich es klingt, so ist es trotzdem völlig wahr, daß die beiden ersten Bücher fast ganz auf diese Weise geschrieben sind, ohne daß ich einen gut durchdachten Plan hatte, und sogar ohne vorherzusehen, daß ich mich eines Tages versucht fühlen würde, ein regelmäßiges Werk daraus zu machen. Auch sieht man, daß diese beiden Bücher erst späterhin nach Materialien zusammengestellt wurden, welche für die von ihnen eingenommene Stelle nicht geschrieben sind. Daher wimmeln sie von wortreichen Phrasen, die man in den anderen nicht findet.
Auf dem Höhepunkte meiner Träumereien erhielt ich einen Besuch von Frau von Houdetot, den ersten, welchen sie mir in meinem Leben gemacht hat, der aber, wie man später sehen wird, unglücklicherweise nicht der letzte blieb. Die Gräfin von Houdetot war die Tochter des seligen Generalpächters Herrn von Bellegarde, Schwester der Frau von Epinay und der Herren De la Lire und De la Briche, die später beide Einführer der Gesandten geworden sind. Ich habe bereits erzählt, wie ich sie noch als Mädchen kennen gelernt habe. Seit ihrer Verheirathung traf ich mit ihr nur bei den Festen auf der Chevrette bei ihrer Schwägerin, der Frau von Epinay, zusammen. Ich hatte oft mehrere Tage sowohl auf der Chevrette wie in Epinay mit ihr verlebt und fand sie nicht allein sehr liebenswürdig, sondern glaubte auch an ihr ein besonderes Wohlwollen gegen mich wahrzunehmen. Sie ging ziemlich gern mit mir spazieren; wir waren beide tüchtige Fußgänger, und unsere Unterhaltung gerieth nie ins Stocken. Trotzdem besuchte ich sie nie in Paris, obgleich sie mich darum gebeten und mehrmals sogar dringend gebeten hatte. Ihr vertrauter Umgang mit Herrn von Saint-Lambert, mit dem ich ein freundschaftliches Verhältnis zu unterhalten begann, machte sie mir noch anziehender, und gerade um mir von diesem Freunde, der sich damals, wie ich glaube, in Manon aufhielt, Nachrichten zu überbringen, besuchte sie mich auf der Eremitage.
Dieser Besuch glich einigermaßen dem Beginne eines Romanes. Sie verirrte sich auf dem Wege. Ihr Kutscher, der den Weg dort, wo er sich wendete, verließ, wollte an der Mühle von Clairvaux vorüber in gerader Richtung auf die Eremitage zufahren; im Thalgrunde blieb ihre Kutsche im Kothe stecken; nun wollte sie aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen. Ihre zierliche Fußbekleidung war bald durchnäßt; sie versank in den Koth; ihre Leute hatten alle Mühe von der Welt, ihr herauszuhelfen, und endlich langt sie unter lautem Gelächter, in welches ich, als ich ihren Aufzug gewahrte, einstimmte, in Stiefeln auf der Eremitage an. Sie mußte sich vollständig umkleiden. Therese versah sie mit allem Nöthigen, und ich forderte sie auf, ihren Rang zu vergessen und einen ländlichen Imbiß zu nehmen, den sie sich auch mit großem Behagen schmecken ließ. Da es schon spät war, verweilte sie nur kurze Zeit, aber die Zusammenkunft war so fröhlich, daß sie Gefallen daran fand und geneigt schien wiederzukommen. Dieses Vorhaben führte sie jedoch erst im nächsten Jahre aus; aber, ach, auch diese Verzögerung sollte mich nicht schützen!
Den Herbst brachte ich mit einer Beschäftigung zu, die man schwerlich errathen würde, nämlich mit der Bewachung des Obstes der Frau von Epinay. Die Eremitage war das Wasserbehältnis für den Park der Chevrette; es befand sich daselbst ein mit Mauern umgebener Garten, dessen Spaliere und hochstämmige Bäume der Frau von Epinay mehr Obst gaben als ihr Garten auf der Chevrette, obgleich man ihr drei Viertel davon stahl. Um nicht ein völlig unnützer Gast zu sein, übernahm ich die Aufsicht über den Garten und den Gärtner. Bis zur Obstzeit ging alles gut, aber je reifer das Obst wurde, desto mehr sah ich es verschwinden, ohne herauszubekommen, was daraus geworden war. Nach der Betheuerung des Gärtners waren es die Murmelthiere, die alles fraßen. Ich machte den Murmelthieren den Krieg, ich tödtete ihrer viele und das Obst verschwand nicht weniger. Ich legte mich mit solchem Erfolg auf die Lauer, daß ich endlich in dem Gärtner selbst das große Murmelthier entdeckte. Er kam von Montmorency, wo er wohnte, Nacht für Nacht mit Weib und Kindern, um die Obstvorräthe, die er den Tag über gesammelt, zu holen. Er ließ sie in den Markthallen zu Paris so öffentlich verkaufen, als ob er einen eigenen Garten besessen hätte. Dieser verächtliche Mensch, den ich mit Wohlthaten
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