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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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zeigte. Es kam mir so vor, als ob mich diese Leute, die alle jünger waren als ich und alle die Lehren, die sie an mich verschwendeten, selbst sehr nöthig gehabt hätten, doch zu sehr als Kind behandelten. Liebet mich, sagte ich zu ihnen, wie ich euch liebe, und mischet euch im übrigen eben so wenig in meine Angelegenheiten, wie ich mich in die eurigen mische; das ist alles, was ich von euch verlange. Sind sie auf eine dieser Forderungen eingegangen, so ist es wenigstens nicht die letztere gewesen.
    Ich besaß eine abgelegene Wohnung in reizender Einsamkeit; Herr in meinem eigenen Hause konnte ich nach meinem Gefallen leben, ohne daß mich jemand darin zu beaufsichtigen hatte. Allein diese Wohnung legte mir Pflichten auf, deren Erfüllung zwar angenehm aber auch unerläßlich war. Meine ganze Freiheit war gar unsicher; ich war nicht sowohl durch Befehle als durch meinen eigenen Willen gefesselt; an keinem einzigen Tage konnte ich, wenn ich mich erhob, sagen: über diesen Tag werde ich nach eigenem Gefallen bestimmen. Ich hing nicht allein von den Veranstaltungen der Frau von Epinay ab, sondern in weit drückenderer Weise auch noch vom Publikum und von unerwartetem Besuche. Die Entfernung von Paris hinderte nicht, daß mich von dort aus täglich Schaaren von Müßiggängern überliefen, die, da sie nicht wußten, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten, sich kein Bedenken daraus machten, mir die meinige zu stehlen. Wenn ich am wenigsten daran dachte, wurde ich mitleidslos überfallen, und selten habe ich mir einen schönen Plan für einen Tag gemacht, ohne ihn durch irgend einen Ankömmling vereitelt zu sehen.
    Kurz, da ich inmitten der am meisten ersehnten Güter keinen reinen Genuß fand, kam ich immer wieder auf die heitren Tage meiner Jugend zurück und rief bisweilen seufzend aus: »Ach, dies sind hier doch immer nicht die Charmettes!«
    Die Erinnerungen an die verschiedenen Zeiten meines Lebens führten mich zum Nachdenken über den Punkt, an dem ich jetzt angekommen war, und ich sah mich in schon abnehmendem Alter als eine Beute schmerzlichen Leides und glaubte mich dem Ende meiner Laufbahn zu nähern, ohne eine der Freuden, nach denen mein Herz trachtete, in ihrer ganzen Fülle genossen, ohne den lebhaften Empfindungen, die ich noch in mir schlummern fühlte, freien Lauf gelassen und ohne auch nur die berauschende Wollust flüchtig gefühlt zu haben, deren Gewalt ich in meiner Seele empfand und die aus Mangel an einem Gegenstände darin eingeschlossen blieb, ohne sich anders als durch meine Seufzer Luft machen zu können.
    Wie ging es zu, daß ich mit einer von Natur mittheilsamen Seele, für die leben lieben hieß, bisher keinen mir ganz angehörenden, keinen wahren Freund gefunden hatte, ich, der ich mich so völlig dazu geschaffen fühlte, es zu sein? Wie ging es zu, daß ich bei einer so leicht entzündlichen Sinnlichkeit, bei einem so liebebedürftigen Herzen auch nicht ein einziges Mal für einen bestimmten Gegenstand in vollen Flammen gestanden hatte? Von dem Bedürfnisse zu lieben verzehrt, ohne je im Stande gewesen zu sein, es ganz zu befriedigen, sah ich mich an der Schwelle des Alters stehen und sterben, ohne gelebt zu haben.
    Diese traurigen, wenn auch rührenden Betrachtungen brachten mich mit einem Schmerze, der nicht ohne Süßigkeit war, zur Einkehr in mich selbst. Das Schicksal schien mir noch etwas schuldig zu sein, was es mir bisher vorenthalten hatte. Weshalb hatte es mich mit vorzüglichen Kräften geboren werden lassen, wenn es dieselben bis zum Ende unbenutzt ließ? Dadurch, daß das Gefühl meines inneren Werthes zugleich das des mir widerfahrenen Unrechts hervorrief, entschädigte es mich gewissermaßen dafür und entlockte mir Thränen, deren Vergießen mir wohl that.
    Diese Betrachtungen stellte ich in der schönsten Jahreszeit an, im Monat Juni, in einem schattigen Hain, beim Schlagen der Nachtigall, beim Rieseln der Bäche. Alles wirkte zusammen, um mich in jene nur allzu verführerische Schlaffheit zu versenken, für welche ich zwar geboren war, von der mich indessen die ernste und strenge Gemüthsstimmung, in die mich eine lange Gährung versetzt, für immer hätte befreien müssen. Zum Unglück erinnerte ich mich des Mittagsessens im Schlosse zu Toune und meines Zusammentreffens mit jenen zwei reizenden Mädchen in derselben Jahreszeit und in einer ziemlich ähnlichen Gegend. Diese Erinnerung, welche mir der darauf ruhende Schleier der Unschuld noch lieblicher machte, rief

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