Roxelane
der Frage lieber dem Logotheten, der als Geistlicher der Nächste dazu war. „Wie denken Sie, Hochwürdigster?“
Cyrill Cantemir blickte Giulia an.
Sie hatte eine schöne und hohe Stirn, und die war glatt, wie es ihr Gesicht war. Denn um ihm die Falten fernzuhalten, lachte sie nicht und pflegte dafür ihr vielbesungenes Lächeln. In der Mitte der Stirn hing ihr eine Perle an einem hauchdünnen Kettchen. Die Ohren verdeckte das Haar. Es war blond, aber nicht mehr so golden und leuchtend, wie Cantemir es auf einem Gemälde gesehen hatte. Offenbar war es nachgedunkelt, oder der Maler hatte geschmeichelt.
Alle Maler und Dichter lügen, dachte Cantemir.
„Mohammed“, sagte er dann, „war weitherziger als Sie, Madonna. Er betrachtete alle, die an einen Gott glauben, als zur Gemeinschaft
gehörig.“
„Aber Mohammedaner sind doch nun einmal Heiden!“ beharrte Madonna eigensinnig.
„Sie glauben an Einen Gott. Selbst Mohammed zeiht sich menschlicher Schwäche, und darum kennen sie auch keine Heiligen.“ „Nicht einmal Heilige?“ triumphierte Giulia. „Also doch Heiden!“ Cantemir antwortete nicht mehr.
Er war in einer Weltstadt zu Hause, wo die Religionen dicht beieinander wohnten, und Madonna Giulias Art, eine Frage des Glaubens zu beantworten, erschien ihm zu einfach.
„Wir wissen wenig über die Sultana“, erklärte er ihr nur, „die Franzosen behaupten zwar, sie sei eine Landsmännin von ihnen; aber das ist nur die gewöhnliche französische Eitelkeit und Großsprecherei. In Wirklichkeit soll sie nämlich Russin sein.“
„Russin?“ staunte Giulia. „Was sind das nun wieder für Menschen? Sind das Hunnen?“
Als gute Italienerin und echte Frau war sie sich über die Eigenschaften der verschiedenen Völker und die Lage von deren Ländern nie ganz im klaren.
„Aus Rußland kommt der Zobel, Erlaucht“, schmunzelte Bragadin, weil das etwas war, was sie schon eher begriff, wenn sie zu ihrem Leidwesen auch keinen Zobel besaß.
„Und außerdem sind die Russen Christen“, fügte Cantemir hinzu, „sogar nach der rechten Lehre. Die Sultana scheint ihr griechisches Christentum übrigens nicht ganz vergessen zu haben. Bei den jüngsten Verhandlungen nannte Kaiser Karl sich nämlich im Beglaubigungsschreiben für seinen Botschafter auch König von Jerusalem, was den Großwesir verdroß. Er drohte, die Grabeskirche des Erlösers schließen zu lassen, und unsere Basilika der heiligen Helena am Fanar schloß er wirklich. Alle unsere Kirchen waren voll von Betern, weil man noch weiteres Unheil befürchtete. Aber ebenso plötzlich, wie das Gewitter gekommen war, ging es vorüber. Auf Befehl des
Sultans selbst wurde die Basilika wieder eröffnet, und alle waren der Meinung, man habe das dem Eingreifen Roxelanes zu danken.“ „Vielleicht macht ihr sie daraufhin zur Heiligen eurer griechischen Kirche?“ spottete Giulia.
„Aber nur, wenn der Papst unsern Freund Ibrahim ebenfalls heilig spricht!“ scherzte Bragadin, um Giulias Bemerkung jeden Stachel zu nehmen. „Ibrahim ist ein halber Venezianer.“
„Und ihr Venezianer seid halbe Heiden!“ lächelte nun auch Madonna.
„Ganze!“ beteuerte Bragadin heiter. „Und zwar immer dann, wenn Seine Heiligkeit sich in unsere Staatsangelegenheiten mischen will.“ „Und euern Sklavenmarkt habt ihr auch! Schon darum seid ihr so gute Freunde mit den Türken. Ihr solltet euch schämen, ihr Venezianer!“
„Überall ist Sklaverei, nicht nur auf dem Markt“, machte Cantemir dem Scherzen ein Ende.
Giulia, die stets alles auf sich bezog, überlegte, welche von ihren Geschichten der Logothet wohl gemeint haben möchte? Und da sie sich bedrängt fühlte, griff sie an.
„Daß niedrig geborene Frauen, die sich auf Sklavenmärkten nackt zeigen müssen - oh, ich weiß, wie es dabei in Venedig zugeht! daß solche Frauen dennoch zu Einfluß und Macht gelangen - das ist wohl nur bei Türken und ähnlichen Völkern möglich“, ging sie gegen die Männer vor. „Nur Heiden und halben Heiden fehlt jeder Sinn für Scham.“
„Ist Unglück eine Schmach?“ fragte Cyrill Cantemir und dachte an die vielen Mädchen seines Volks, die den Eroberern in die Hände gefallen waren.
„Eine richtige, edelgeborene Frau erträgt sie nicht“, entgegnete Giulia.
„Sie sollten an Rom denken, Erlaucht, und daran, was dort geschah“, stellte Bragadin vor. „Es sind erst zwei Jahre her, daß es erstürmt wurde. Durch Kaiser Karl“, unterstrich er noch, „den hohen
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