Roxelane
Ansehens.
Rosska seufzte tief auf, als sie an Igors steppenweiten Ruhm und an seine Absichten auf ihre Person dachte. Wie leicht könne Denko da schwach werden!
Sie aber wollte nicht wieder stromauf.
Stromab wollte sie, meerwärts und über das Meer hin zur heiligen Stadt, wo ein Vater wohnte, der alle ihre Fragen beantworten konnte, auch die, ob sie nun in den Himmel komme oder draußen bleiben müsse. Denn sie hatte wirklich nichts gegen den Himmel, schon deswegen nicht, weil Serafim so große Stücke darauf hielt und furchtbar traurig sein würde, wenn sie dermaleinst dort nicht anzutreffen wäre. Und während nun alles um Rosska stromab floß, kam sie selbst weder hinauf noch hinab. Sie saß einfach hier fest.
Das Wasser gurgelte unaufhörlich um Bug und Kette, und was auf dem Wasser schwamm, mußte folgen. Gestern war ein Pferdekadaver vorbeigetrieben. War Rosska schlechter als ein Pferdekadaver?
Jeder abgerissene Schilfhalm trieb stromab, jedes Bündel. Ganze Inseln von Schilf trieben so, gerade jetzt. Vielleicht war etwas auf dem Ingulez los gewesen, daß so große Packen Schilf herunterkamen. Aber was nur? Hochwasser gewiß nicht. Die Steppe war ja strohtrocken und braun.
Da kam Rosska plötzlich ein neuer Gedanke!
Sie hatte einmal einen Hasen auf treibendem Schilf hocken sehen. So viel mehr aber als ein Hase wog sie selbst wohl auch nicht, und vielleicht trug so eine Insel auch sie?
Dann käme sie hier fort, käme sie zum Meer, käme sie zur heiligen Stadt.
Ganz aufgeregt starrte Rosska voraus.
Pfeilgerade auf sie zu glitt so eine Insel heran.
Eigentlich mußte die Strömung das Treibgut auf der Backbordseite vorüberführen. Aber es war, als wenn diese Insel etwas Lebendiges sei, als wenn sie Rosskas Sehnsucht vernommen habe und ihr willfahren wolle. Immer näher trieb die Insel.
Rosska hangelte schon an der Ankerkette hinunter.
Sie wollte es wagen!
Wenn die Insel sie trug, wollte sie auf ihr den Dnepr hinab.
Vor den Tataren fürchtete sie sich dabei nicht im geringsten. Die Tataren kamen ja nie aufs Wasser.
Und jetzt war es soweit, jetzt kitzelten die ersten Schilfhalme ihren nackten Fuß.
Eins freilich hatte Rosska nicht bedacht: Wenn die Tataren ein Gewässer überschreiten wollten, bliesen sie in vernähte Tierfelle Luft, und über diese Luftsäcke legten sie ein Schilfgeflecht, und solche Flöße trugen dann mit Leichtigkeit ganze Familien und Herden. Diese Flöße konnten aber auch Krieger tragen.
Die Insel, auf die Rosska im Begriff war, den Fuß zu setzen, trug jedenfalls einen ganzen Haufen davon. Hinter Schilfwänden lagen sie versteckt, und während das Floß sich zwischen Bug und Ankerkette staute, fühlte Rosska sich plötzlich gepackt.
„Ich muß doch“, schrie sie, „ich muß doch nach . . .“
,Nach Konstantinopel!‘ wollte sie schreien.
Aber da schloß ihr bereits eine sehnige Tatarenhand den vorlauten Mund.
4
Am 27. Mai 1522 krachten die Kanonen über Konstantinopel. Diese Schüsse waren das Zeichen des Krieges. Denn wiederum nahm der junge Kaiser Abschied von der Hauptstadt seines Reiches und den
Seinen, um sich unter die Fahnen seines Heeres und ins Feld zu begeben.
Im Vorjahre hatte es Ungarn gegolten. Jetzt kehrte der Padischah seine siegreichen Waffen gegen den Inselstaat Rhodos.
Dreimal schon waren die Salven über die sieben Hügel der Stadt hinweg bis hinüber ans asiatische Ufer gerollt, wo vom Mädchenturm die Antwort gekommen war, und eben wurden die Geschütze zum vierten Male gelöst.
Das erstemal hatte es sich ereignet, als Sultan Soliman vom Neuen Serail aufgebrochen, das zweitemal, als er bei der Grabmoschee seines Vaters angelangt war.
In zwei Jahren war die Moschee Sultan Selims von dem großen Baumeister Sinan vollendet worden, und nun hatte Selims Sohn am Grabe des Besiegers von Persien und Eroberers von Ägypten, das Heiligtum einweihend, gebetet und zugleich seinen väterlichen Kummer an den Gräbern seiner jüngst vorzeitig verstorbenen Kinder ausgeweint. Beim Aufbruch des Herrschers von den Gräbern waren die Batterien zum dritten und bei dem vom Alten Serail, dem Sitz der Sultana Walide, waren sie zum vierten Male abgefeuert worden. Er hatte den Toten und der Lebenden gehuldigt, hatte gebetet und der Sultana Walide, seiner noch immer schönen Mutter Hafsa Chatun, ehrerbietig die Hand geküßt, und nun ging der kaiserliche Zug wieder zum Sitz der Herrschaft, zum Neuen Serail.
Soweit die engen Gassen den Aufzug sahen, waren es die
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