Roxelane
Bedauern darüber auszudrücken, daß Geschäfte seine Besuche leider für kurze Zeit unterbrächen.
Bolil Aga war offenbar beunruhigt, als er in Begleitung seines Kollegen vom Haremsdienst, des Kislar Aga, Solimans Botschaft überbrachte. Aber Roxelane übersah seine Unruhe und fragte ihn nicht, trotzdem er wohl das Gegenteil erwartet hatte.
Sie konnte sich auch ohne Bolil denken, wie es um Soliman stand, und anstatt den Kapu Aga unter vier Augen auszufragen, empfing sie lieber den Mufti.
Der Inhaber dieser Würde war ebenso neu wie der Kislar Aga. Lokman Aga, der Kislar, und Kemal Paschasade, der Mufti, waren beide tot. Seit anderthalb Jahren war Saadi Effendi Mufti, und der hatte sich durch ein außerordentliches Gedächtnis und seine Randglossen zum berühmtesten Kommentar des Korans einen Namen gemacht. Saadi verneigte sich mit seinen zwei Mulasim, den beiden Assessoren, die er als Sekretäre mitgebracht hatte, vor dem Schleiervorhang, hinter dem sich Roxelane befand.
„Mein Vater“, sagte sie, „Ihre Tochter bittet um Belehrung. Erlauben Eure Heiligkeit, daß ich zu Ihren Füßen sitze?“
Der alte Herr mit dem gepflegten weißen Bart ließ sich auf dem Ehrensitz nieder, und Roxelane sank auf ein Polster.
Außer den drei Geistlichen und der Sultana war niemand im Raum. „Ich höre, Eure Hoheit“, sagte Saadi.
„Und ich danke Eurer Heiligkeit, daß Sie sich ins Serail bemüht haben. Aber in meinem Gewissen beunruhigt, bedarf ich Ihres väterlichen Rates.“
„Sprechen Sie, meine Tochter.“
„Allahs Gnade hat so sichtbar über meinem irdischen Wandel geleuchtet, daß es mich bedrückt, so wenig zur Verherrlichung Seines Namens getan zu haben. Auch gebietet der Prophet, daß der Gläubige seinen Nächsten nicht vergessen, sondern Almosen spenden soll. Was raten mir Eure Heiligkeit, um mein mahnendes Gewissen zu besänftigen?“
Seit Saadi Effendi Roxelanes Botschaft erhalten hatte, waren seine Gedanken auf die Frage gerichtet gewesen, was die Sultana wohl von ihm wolle.
Diese Frage war noch nicht beantwortet. Doch verstand er wohl.
daß Roxelane ihm für die Erfüllung ihrer Bitte eine Bezahlung anbot, aus deren Höhe er auf die Größe des Begehrens würde schließen können.
Seine Aufgabe war jetzt, darauf zu achten, daß die Belohnung nicht hinter der Bitte zurückbleibe.
Denn die Sultana hatte sich zwar von der Unklugheit des andern kaiserlichen Günstlings ferngehalten und in keiner Weise wie Ibrahim öffentlich eine Verachtung der Gesetze und des Korans an den Tag gelegt; aber sie hatte ihre Frömmigkeit auch nicht so betätigt, wie es ihr Reichtum erlaubt hätte. War sie aber jetzt dazu bereit, so würde der Zögernden nichts in den Weg gelegt werden. Jeder Tag war gleich gut, sich Allah zu nahen. Und wenn Roxelanes Verlangen dem Islam nicht widersprechen sollte - so war Saadi bereit, ihr zu gewähren, was sie erbitten würde.
„Allah ist groß“, fing er vorsichtig an, „und das Gebet der Menschen fügt ihm nichts hinzu. Aber das schönste Almosen ist es, den Nächsten eine Stätte zu bereiten, wo sie ihn anzubeten vermögen.“
Die beiden Mulasim warfen sich einen raschen Blick zu, und dieser Blick besagte, daß Seine Heiligkeit gar nicht blöde sei, gleich eine Moschee zu verlangen und womöglich noch die einträgliche Verwaltung des Stiftungsvermögens für sich selbst.
Ein leichter, freudiger Schreck durchfuhr denn auch Saadi, als Roxelane ihm ohne weiteres zustimmte.
„Sie haben recht, Heiligkeit, eine Moschee also.“
Und dann sprach sie davon, daß es ihr als Frau nicht zukomme, ihrer Moschee eine Hochschule anzugliedern, und daß sie darum ein Hospital für bedürftige Frauen bei der Weihestätte errichten und die Verwaltung der Stiftung in Seiner Heiligkeit Hände legen möchte ... Noch einiges fügte sie hinzu; aber das war nur der Übergang zu der Frage, die sie der höchsten Würde des Gesetzes vorzulegen entschlossen war.
Der Preis war gezeigt - jetzt kam das Ersuchen.
Um die Feierlichkeit zu erhöhen, legte Roxelane erst eine Pause ein, ehe sie begann.
Keinen Namen nannte sie, und doch konnte der Mufti und seine
Mulasim sich denken, daß Ibrahim und Soliman gemeint seien. Und Roxelane wiederum wußte um das Wissen der drei.
So erzählte sie denn von einem Herrn und einem Sklaven. Mehr Freunde als Herr und Sklave seien sie gewesen, und eines Tages habe sich der Gebieter bewogen gefunden, dem Diener bei Allah zu schwören, niemals dessen Leben
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