Roxelane
Fetwa.
„Und was dem Lebendigen versprochen wurde - darauf hat der Schlafende keinen Anspruch.“
Soliman dachte an einen anderen Satz.
„Nie soll meine Gunst dir fehlen. Und niemals werde ich dich töten.“ Es waren seine eigenen Worte gewesen. Er selbst hatte sie in einem Zelt auf Rhodos zu Ibrahim gesprochen, zu einem wachen Ibrahim und zu keinem schlafenden. Auf ein Versprechen aber, einem Lebendigen gegeben, sollte nach dem Fetwa der Schläfer keinen Anspruch haben, weil ein Schlafender nicht als Lebender zu achten sei.
Ein Todesurteil war verkündet worden und harrte nur des Vollstreckers.
Ohne gegessen zu haben, erhob sich Soliman und verlangte Schreibgerät.
Zwei Zeilen schrieb er nur. Dann faltete er das Billett und drückte sein eigenes Siegel darauf, das zum Unterschied von den drei andern viereckig war, und zuletzt adressierte er an Seine Hoheit den Großwesir.
Nach seiner Rückkehr hatte der Kaiser Ibrahim nicht mehr unter vier Augen gesprochen.
Jetzt ließ er ihn holen, um mit ihm die Nacht zu verbringen.
Der Raum der Zusammenkunft war nicht groß und nur durch ein Ankleidezimmer von dem getrennt, den Soliman diese Nacht zum Schlafen gewählt hatte.
„Ich habe dich Freuden entrissen, mein Ibrahim“, sagte Soliman gerade, „die sicher anziehender waren als die Aufgabe, einem Schwermütigen die Zeit zu verkürzen.“
„Wenn du glaubst, daß ich das Zeitverkürzen verstehe, hättest du mich schon früher rufen lassen sollen“, meinte Ibrahim. „Ich vermute, du hattest eine Aufheiterung nicht erst heute nötig? Du bist blaß unter deiner Bräune.“
Wie es seiner Stimmung entsprach, war Ibrahim in Pagentracht erschienen.
Er war glücklich über die Einladung, die er so lange vermißt hatte, und über den Abschluß des Handelsvertrages mit Laforet. Mit Chaireddin, dem alten Starrkopf, hoffte er nach diesem neuen Beweis seiner eigenen Unentbehrlichkeit für Soliman auch noch fertig zu werden. Es war alles wieder so wie einst, und er freute sich auf die Nacht mit dem Freund, an dem er sich wie an dem ruhigen Glanz einer geweihten Kerze stets von neuem entzündete.
Wie Blut und Bernstein funkelten die Karaffen. Und wenn auch kein eigentliches Mahl auf den niedrigen Tischen stand, so warteten doch die Früchte, die gesalzenen Mandeln, gepfefferten Fische und das Zuckerwerk nur darauf, die Gaumen der Trinker je nach deren Belieben anzureizen oder zu besänftigen.
Ibrahim goß den Wein hinunter. Soliman trank sinnend und mit Maß.
Er hätte sprechen mögen und mußte schweigen.
Wie hätte er als Moslem zu einem andern Mann — und sei es der Vertrauteste! - von seiner Frau reden können? Das war gut für ungläubige und ungesittete Barbaren. Schwatzsüchtige Griechen mochten das tun; aber kein rechtgläubiger Lastträger würde sich soweit vergessen, geschweige ein Kaiser.
Da er aber von seinem Kummer nicht reden konnte, verlangte er Musik.
Ibrahim war auch sofort bereit.
Es hatte ihn selbst dazu gedrängt; denn ihm war es, als habe er die Geige noch nie wie heute gemeistert.
„Diese Steigerung jetzt!“ rief er während des Spielens. „Und nun die Lösung! Hörst du wie Gebundenes sich löst, Soliman?“
Soliman hörte es.
„Mit dir würde ein großer Künstler zugrunde gehen“, meinte er. Ibrahim berauschte sich an dem Lob, das ihn unvergleichlich dünkte. „Trink“, forderte Soliman ihn auf. „Dein Wohl!“
„Ich trinke auf das deine!“ rief Ibrahim und leerte sein Glas.
Viele Male wiederholte er das spielend und trinkend, so oft, daß er gar nicht wahrnahm, wie sich der Kummer immer dichter auf Soliman senkte. Denn immer gerade dann, wenn der Kaiser wieder nichts als Freund sein und sich in den Garten von Magnesia zurückträumen wollte, vertrieb ihn ein anderer Gedanke aus dem Paradies.
Und nun übernahm er das Mundschenkenamt und füllte von neuem Ibrahims Becher. - Der aber begeisterte sich.
„Ich habe mir schon lange gewünscht, wieder einmal vor dir zu spielen!“ rief er.
„Du spielst falsch“, sagte Soliman.
„Das meinst du wegen der Dissonanz“, unterbrach Ibrahim sein Spiel. „Aber merke auf, wie ich sie überwölbe, und nun höre! Jetzt ist sie Harmonie geworden. Hörst du?“
„Ich höre dich, du Bezwinger der Dissonanzen, die du selber hervorriefst.“
In den Worten schwang der Spott einer Verzweiflung mit, die Ibrahim nicht mehr vernahm.
„Ja, Dissonanzen!“ schrie er. „Dissonanzen!“
Wild und sinnlos strich er über die Saiten und
Weitere Kostenlose Bücher