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Roxelane

Titel: Roxelane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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anzutasten.
    „Allah ist Allah, und ein Eid ist ein Eid“, erklärte der Mufti. „Gepriesen sei Er und Sein Name!“
    Roxelane verneigte sich tief bei ihren Worten.
    Scheinbar war damit auch schon alles zu Ende und Ibrahims Leben vom Scheich des Islams für unantastbar erklärt worden. In Wirklichkeit begann Saadi aber nur zu überlegen.
    Zwingen konnte man ihn zu nichts.
    Kein Padischah konnte es wagen, sich an einem Ulema zu vergreifen. Wenn der Würdenträger des Gesetzes nicht so unvorsichtig war, sich aus Eitelkeit zum Pascha machen und eine Staatswürde übertragen zu lassen - konnte ihm nichts geschehen, weder an seinem Leben noch an seinem Vermögen.
    Es gab kaum eine Geburtsaristokratie in der Türkei. Außer der herrschenden Familie Osman waren es noch die Nachkommen von ehemals regierenden Familien, die Seids, die Nachkommen des Propheten, und die Michailoghli, die Ewrenos und andere Familien, die bereits zu den Verbündeten Osmans gehört hatten. Von dieser dünnen Schicht abgesehen, waren die einzige und eine sehr einflußreiche Aristokratie die Ketten der Ulema, in denen sich die aufgehäuften Reichtümer unangetastet von den Vätern auf die Söhne und Töchter vererbten, die wieder durchweg Söhne und Töchter von Ulema heirateten.
    Diese Unantastbarkeit galt bereits für den Sohn in der Wiege, der stets ins Register der Moschee eingeschrieben wurde, wieviel mehr nicht für das ehrwürdige Haupt der Lehre!
    Aber Saadi Effendi hatte diese Lehre auch gegen ihre Verächter zu verteidigen, und Ibrahim war unbestreitbar ein Spötter. Der Koran und seine berufenen Vertreter waren in Gefahr. Heute verletzte der Großwesir das Heiligtum des Frauengemachs und vergriff sich am
    Geld einer Witwe - konnte ihn nicht morgen der Übermut treiben, einem Ulema zu nahe zu treten? Wenn Saadi nun auch trotz dieser Umstände durchaus gewillt war, den angebotenen Preis für sein Fetwa zu nehmen, so konnte er sich am Ende seiner Betrachtungen doch nicht der Einsicht verschließen, daß die neuerdings so fromme Sultana eher eine Verbündete als eine Bittstellerin sei.
    Nur eins störte den schönen Greis im weißen, zobelbesetzten Gewand: daß Soliman ihm nicht selbst die verfängliche Frage vorgelegt habe. Jetzt stehe die Sache so, sagte sich Saadi, daß Roxelane Sultana Ibrahims Leben verlange; Soliman sich aber mit Rücksicht auf die alte Freundschaft noch widersetze und vielleicht gar seinen Eid als wohltätiges Hindernis empfinde, der Gattin zu willfahren.
    Es mochte gefährlich sein, dieses Hindernis hinwegzuräumen.
    Doch wenn Saadi auch nicht der berühmte Kemal Paschasade war, so war er doch immerhin Mufti genug, um in der Stunde einer großen Entscheidung über sich selbst hinauszuwachsen.

Was Soliman nicht verlangt habe, solle Roxelane gegeben werden, entschied Saadi bei sich, und sein Gebet solle die Sultana begleiten, daß Allah alles zu einem guten Ende führe.
    Ein heiliges Schweigen herrschte im Raum, während der Wahrer des Islams mit sich zu Rate ging.
    Die beiden Mulasim harrten ebenso gespannt seiner Worte wie Roxelane selbst, und als sich jetzt seine Lippen bewegten, knieten sie nieder und berührten voll Ehrfurcht mit ihren Stirnen den Boden.
    „Es steht geschrieben“, hob Saadi an, „der Schlaf gleicht dem Tode. Also ist ein Schlafender nicht als Lebender zu achten. Was dem Schlafenden geschieht, widerfährt dem Lebendigen mitnichten. Und was dem Lebendigen versprochen wurde - darauf hat der Schlafende keinen Anspruch.“
    „Amin“, sagten die Mulasim, die jedes Wort behalten hatten und nun niederschrieben.
    „Ist das ein Fetwa?“ fragte Roxelane.
    „Es ist ein Fetwa“, bestätigte Saadi, „und du kannst es gesiegelt haben, meine Tochter, wenn du das begehrst.“
    „Ich begehre es!“ erklärte Roxelane.

38
    Es war wieder einmal Ramadan, und die Stunde des Gebets war gewesen. Soliman hatte den Harem seit Tagen nicht mehr betreten, und jetzt, da ihm das Mahl aufgetragen wurde, saß er, von seinem Hofstaat umstanden, als einziger vor den Speisen. Weil es der Kanun so befahl, aß er allein. Im Köschk Hebetullah war es anders gewesen. Man hob den Deckel der ersten Schüssel.
    Aber nichts Eßbares war darin.
    Trotzdem verzog nicht einer der Hofbeamten, keiner der Vorkoster -der Speisenmeister nicht und nicht der Kellermeister - auch nur einen einzigen Muskel ihrer bartlosen Eunuchengesichter.
    Statt des Pilaws befand sich ein Papier in der Schüssel.
    Soliman nahm es und las.
    Es war das

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