Roxelane
Hafsa Chatun jedenfalls kannte ihre Verpflichtung, die darin bestand, die kaiserliche Familie zusammenzuhalten, wie diese wieder das Weltreich zusammenhielt. Und die Sultana Walide spielte deswegen eine so große Rolle, weil die regierende Familie Osman nach einem unabänderlichen Gesetz immer fast nur aus Frauen bestand.
Wenn man von den geflüchteten Nachkommen des Prinzen Dschem absah, die bei den Johannitern auf Rhodos als gefährliche Privatleute lebten, so waren die einzigen männlichen Familienmitglieder zur Zeit Soliman selbst und sein sechsjähriger Sohn.
Das konnte auch gar nicht anders sein, weil bei einem Thronwechsel stets nur der Padischah und gerade noch dessen Söhne am Leben blieben, während die andern Männer und Knaben der Familie Osman dem Kanun des Eroberers geopfert wurden.
Die Prinzessinnen aber hatten nichts von der seidenen Schnur der Henker zu fürchten. Sie alle blieben in ihrer ganzen großen Zahl am Leben und vermehrten die Macht des regierenden Familienoberhaupts, der wieder ihrer aller Sachwalter war.
Eins freilich durften die Prinzessinnen nicht. Ihre Söhne, die ja dem Herrscher als Thronnebenbuhler hätten gefährlich werden können, durften sie nicht behalten. Und obgleich kein Kanun es vorschrieb, ließ man den männlichen Sprossen einer Prinzessin, wenn diese nicht gerade an einen ausländischen Fürsten verheiratet war, gleich nach der Geburt mit unabgebundener Nabelschnur verbluten.
Dieses Opfer mußten die Prinzessinnen bringen.
Dafür waren sie aber auch unumschränkte Herrscherinnen in den Häusern ihrer Männer und sehr oft weit darüber hinaus.
Für sie gab es keine Vorschriften und keine schwarzen Eunuchen als Wächter, dagegen war schon mancher Gewalthaber um seinen Kopf gekürzt worden, nur weil er der Hoheit seiner Frau mißfallen hatte.
In solchen Fällen wurden einzig und allein die Männer der Prinzessinnen bewacht, und die das besorgten, waren die fürstlichen Frauen selbst.
Keiner der großen Statthalter des Reichs, die in Mesopotamien oder Bosnien, in Ägypten, Serbien oder sonstwo in oft riesigen Entfernungen von der Hauptstadt große Königreiche regierten, kein Wesir oder tributpflichtiger Fürst konnte, wenn er mit dem Sultan verschwägert war, an Auflehnung oder Selbständigkeit auch nur denken. Ein solches Verbrechen wäre, nur gedacht, auch schon von seiner Prinzessin-Gattin gemeldet worden. Viel zu tief unter sich empfand eine Sultanin ihren Mann, und viel zu hoch stellte sie ihre eigene Zugehörigkeit zur kaiserlichen Familie, als daß sie sich bei der Wahl zwischen der Selbständigkeit ihres Mannes und der Alleinherrschaft des Padischah nicht immer für die Familie und deren Oberhaupt entschieden hätte.
Aber nicht nur den Prinzessinnen, auch den übrigen Damen des Serails war dies eine Selbstverständlichkeit, und sie waren ihrer Aufgabe durchaus nicht weniger gewachsen als die Hoheiten. Denn wenn die Töchter der Sultane und Prinzen ihre Stellung dem Zufall der Geburt verdankten, so waren die andern Mädchen meist noch als Kinder ihrer persönlichen Eigenschaften wegen gewählt worden, die sie vor vielen andern auszeichneten.
Es verstand sich von selbst, daß ein Mädchen, das der Ehre des kaiserlichen Harems würdig erachtet werden sollte, in irgendeiner Art schön sein mußte. Doch das war noch keineswegs genug. Zur Schönheit mußte eine vielseitige Begabung treten, die dann aber auch in sorgfältiger Erziehung entwickelt wurde.
Sprache und Lektüre der gebildeten Türken beiderlei Geschlechts waren vornehmlich arabisch, und wenn sie sich herbeiließen, türkisch zu sprechen, so spickten sie ihre Rede doch derart mit arabischen und auch persischen Wendungen, daß sie von den Nichtgebildeten kaum noch verstanden wurden.
Bei der strengen Auslese nun, die der Aufstieg einer dienenden Sklavin zur Dame bedeutete, war außer dem Beherrschen des Türkischen die Kenntnis nicht allein des Arabischen und Persischen, sondern auch der arabischen und persischen Literaturen einfach unerläßlich. Daneben lernten die Guedlicki dann meist noch das Italienische als die Sprache der gebildeten Franken, die auch Soliman verstand, so daß Dante im Serail nicht weniger bekannt war als in Florenz. Erwünscht waren auch noch musikalische oder gar dichterische Anlagen, die ebenso gepflegt wurden wie die für den Tanz. Denn in irgendeiner Kunst oder in der Gelehrsamkeit mußte ein Mädchen sich bewährt haben, ehe es in die Welt des Hofes eingelassen
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