Roxelane
Walide im Interesse des kaiserlichen Ansehens nicht länger hatte verschließen können.
Das alles hatte sich erst vor kurzem begeben, und Lokman, der Kislar Aga, der seit vielen Jahren der Hafsa Sultana in unwandelbarer Treue ergeben war, aber auch der Kapu Aga, dem die formale Erledigung aller äußeren Angelegenheiten des Serails oblag, hatten schlimme Tage gehabt, bis es den beiden alten Herren schließlich gelungen war, die Harmonie zwischen dem Alten und dem Neuen Serail wiederherzustellen.
Soliman hatte seinen Jähzornanfall als unkaiserliche Haltung inzwischen innerlich oft bedauert. Aber für die eigene Unzulänglichkeit nun die unschuldige Ursache verantwortlich zu machen, das wäre ihm noch weniger angemessen erschienen. Er hatte es nur verschmäht, das Mädchen Roxelane wiederzusehen, weil sie seit jenem Vorfall für ihn eine unangenehme Erinnerung gewesen war, der er auch weiterhin gern aus dem Wege gegangen wäre.
Doch nun stand sie vor ihm.
Aber auch das konnte man ihr nicht zur Last legen. Denn es war zu klar, daß die Guedlicki Roxelane keineswegs beabsichtigt hatte, bemerkt zu werden, sondern eher bemüht gewesen war, sich zu verbergen. Dagegen kam dem Kaiser auf Grund der Anschauungen, zu denen man ihn erzogen hatte, der höchst unangenehme Gedanke, daß dieser Roxelane bereits durch sein Verschmähen ein Unrecht zugefügt worden sei und er sich an ihr - allerdings ohne Absicht - wenig fürstlich gerächt habe.
Zwar hatte sie erreicht, wonach es Hunderte verlangte: Sie war dem Großherrn aufgefallen. Aber weiter hatte sich nichts ereignet, und das war weniger als nichts. Es war noch schlimmer. Es war eine Niederlage für sie.
Bei dem ganzen Handel war es nun nicht zu vermeiden gewesen, daß Soliman etwas von der Herkunft des Mädchens erfahren hatte. Auch der Einzelheiten erinnerte er sich jetzt und — mußte lächeln. Denn Roxelane wär ein Geschenk seiner Tante Nur Banu, und Geschenke
an Sklavinnen von seiten dieser Prinzessin waren in Konstantinopel gefürchtet.
Nur Banu, die lichte Frau, war Solimans Vaterschwester, und mit ihrer Hand war nach dem Tode ihres ersten Gemahls dessen Bruder Mohammed Girai, der Khan der Krimtataren, beehrt worden, eine Ehre höchst zweifelhafter Natur, besonders wenn es sich um einen Fürsten und Herrn wie Mohammed Girai handelte, der als Feldherr, Dichter, Politiker und Weltmann einen unantastbaren Ruf genoß. Denn auch für ihn war die Folge der Heirat mit einer kaiserlichen Prinzessin gewesen, daß er von da ab in seinem eigenen Palast in Bagdscheserai nichts mehr zu sagen gehabt hatte.
Zwar sprachen die Tatarenkhane, der Khan der Krim, der von Astrachan und der Zar des Khanats von Kasan, die Oberherrlichkeit über das ganze weile russische Land an; aber die Herrschaft über eine richtige kaiserliche osmanische Prinzessin aus Konstantinopel hätte sich keiner von ihnen jemals angemaßt. Im Gegenteil! Vor einer kaiserlichen Prinzessin konnten sich die verbürgtesten Männerrechte nicht behaupten, vor allem nicht das, außer der Hoheit noch irgendeine andere Frau zu umarmen.
Und Frau Nur Banu war auf ihren verführerischen Mohammed, der inzwischen auch bereits in die Fünfziger gekommen war, noch immer so eifersüchtig, wie nur eine Frau auf ihren Mann sein konnte. Solimans Lächeln galt also der Erwägung, wie der Hof seiner Frau Tante wohl aussehen möge, wenn schon das Mädchen Roxelane als zu betörend habe entfernt werden müssen.
Denn so ein Geschenk bedeutete immer eine Verbannung aus Bagdscheserai.
Das wußte Soliman, wie der ganze Hof es wußte, und so konnte er sich selbst sagen, daß der Kislar Aga seinerzeit nicht zu Unrecht gerade auf diese Seite der Angelegenheit ehrfurchtsvoll hingewiesen habe. Die schönsten Frauen der Welt standen dem Padischah zur Verfügung, und er, Soliman, war ausgerechnet, wenn auch nur für einen Augenblick, auf ein Mädchen verfallen, das seiner Tante unschön genug erschienen war, um sie ihrer berüchtigten Sammlung von weiblichen Reizlosigkeiten einzuverleiben.
Wie leicht konnte dieser Vorgang einem Dichter Stoff zu einem Ghasel geben, dem es bei der Spottlust der hauptstädtischen Bevölkerung niemals an Verbreitung fehlen würde!
Der Padischah war allmächtig; auf seinen guten Ruf aber mußte er mehr als jeder andere achten, und ein schlechter Geschmack konnte den kaiserlichen Ruf ernstlich gefährden.
Die Sultana Walide war die erste Dame des Reichs und nicht der geringste Teil seiner Regierung. Frau
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