Roxelane
Ahnung von den breiten Strömen, die ins wilde und schwarze Nordmeer fließen, sagte sie, zumal vom Dnepr nicht, der etwas kälter sei als diese lauwarme Pfütze. Und in dem habe sie, Roxelane, sich schon um Ostern, dem Ramadan und Beiram der Christen, munter getummelt und das nur, weil sie ein paar Fische aus den Standnetzen habe stehlen wollen.
Während sie das verkündete, zog sie ihre Hose an, streifte sich das Hemd über und ruderte nun in dieser Bekleidung selbst das Boot zum Strand.
Als es dann mit Geknirsch auf den Sand lief, hatten sich die Wagen vorm Haus längst um den neuen vermehrt, was Dede Semid jedoch nicht abhielt, sofort zu der Herrin ans Wasser zu laufen. In ihrem Eifer ging sie sogar soweit, daß sie ihre feinen Damenhände mit anlegte, um das Boot vollends hinaufzuziehen.
Und nun konnte sie endlich ihre große Neuigkeit anbringen: Eine Dame bittet um die Gunst einer Unterredung mit der Hanum.
Damit hielt Dede Semid ihrer Herrin auch schon einen weiten Hausmantel hin.
„Eine Dame...?“ verwunderte sich Roxelane, indem sie hineinschlüpfte.
Doch ein Blick auf das listige und geheimnisvolle Gesicht ihrer Vertrauten sagte ihr, daß sie aus Dede Semid doch nichts herausbekommen werde. So ging sie denn lieber ironisch lächelnd ins Haus, fest entschlossen, sich durch Dede Semids Geheimnis nicht überwältigen zu lassen.
Trotzdem war ihre Überraschung beim Betreten des Seezimmers größer, als sie es sich gedacht hatte.
Wie es ihr versprochen worden war, erhob sich in der Tat eine Dame, eine noch recht mädchenhafte freilich, eine Dame, die Roxelane von ihrer Zeit im Alten Serail so gut kannte, daß sie sich jetzt mit gekreuzten Armen vor ihr verneigte.
Denn die Dame war Esma Sultana, Solimans jüngste Schwester.
Der Austausch der ersten Höflichkeiten war vorbei.
Umsonst hatte die kleine Sultana Roxelane gebeten, sie nicht als Prinzessin, sondern als Freundin zu behandeln.
Roxelane hielt sich zurück.
Wenn Esma lediglich durch freundschaftliche Empfindungen zu ihr geführt worden sei, dachte sie, dann hätte sich diese Seelenregung der jungen Dame wohl schon im Alten Serail auf irgendeine Art gezeigt.
Aber dort war Roxelane für Esma nur eins der vielen Mädchen in der Umgebung der Sultana Walide gewesen, was ihr Roxelane auch gar nicht übelnahm. Alle konnten nun einmal nicht die Aufmerksamkeit Ihrer Hoheit erregt haben.
Roxelane glaubte an Neugier und verwunderte sich nur, daß diese natürliche Regung bei der Kaiserstochter eine solche Leidenschaft geworden sei.
Selbst Kira Sultana hatte Roxelane zu sich gebeten und sie keineswegs aufgesucht. Und doch hatte Kira für die Aufnahme von Beziehungen zu Roxelane einen sehr triftigen Grund: ihren gemeinsamen Kriegszustand mit dem Alten Serail.
Für Esma dagegen war der Schritt, den sie getan hatte, eine doppelte Kühnheit.
Dadurch, daß sie einer Dame des Neuen Serails den ersten Besuch machte, vergab sie ihrem Rang mehr, als erlaubt war, und zugleich lief sie aus dem Lager ihrer Mutter in das feindliche über.
Unter diesen Umständen mußte Roxelane notwendigerweise mißtrauisch sein, und Dede Semid hatte ganz recht daran getan, ihre Herrin nicht von Esma Sultanas Absichten zu unterrichten, weil es sonst gar nicht erst zu diesem Gespräch gekommen wäre.
Alles andere war nach Dede Semids Meinung freilich Angelegenheit der kleinen Prinzessin.
Und die ließ es auch an nichts fehlen.
„Sagen Sie doch bitte nicht ,Hoheit' zu mir“, bat sie, „das tut meine Mutter immer, wenn sie mit mir böse ist. Sind Sie mit mir böse?“ „Nein“, sagte Roxelane, „wie sollte ich Eurer Hoheit böse sein? Ich bin eben nicht Eurer Hoheit erlauchte Mutter.“
„Churrem ...!“ Esma sprach den Namen aus, den Soliman Roxelane gegeben hatte. „Sind wir nicht Schwestern? Sind Sie nicht die Frau meines Bruders?“
„Ich fürchte sehr, daß man im Alten Serail für diese Auffassung wenig Verständnis haben dürfte. Oder sollte Ihr liebenswürdiger Besuch etwa besagen, daß Hafsa Sultanas jüngste Tochter zu einem Staatsakt bei Churrem Hanum, der rothaarigen Närrin, erschienen sei?"
Ganz Spott war Roxelane.
„N ... nein...“, gab Esma zögernd zu. „Im Alten Serail hätten sie mich einfach nicht weggelassen.“
„Viel Glück zur Heimkehr dann“, meinte Roxelane und wunderte sich selbst darüber, wie sehr sie sich doch wohl über die Ablehnung ihrer Person gekränkt haben müsse, daß sie die arme Kleine so schlecht behandeln
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