Roxelane
Roxelane.
Dabei stellte sie ihr Gefolge der Hoheit vor, die es zum Handkuß zuließ.
Mit jeder einzelnen wechselte Esma einige huldvolle Worte und bewies auf diese Weise ihre gute kaiserliche Erziehung.
„Was meinst du?“ flüsterte Roxelane unterdessen Dede Semid zu. „Gib ihr den Ibrahim.“
„Aber wie?“
„Versprich es ihr“, schloß Dede Semid hastig, um dann mit tiefer Verbeugung auch Roxelane Sorbet anzubieten: „Wenn Euer Gnaden geruhen ...“, sagte sie laut.
Roxelane nahm die kostbare Schale, die mit zu ihren Geschenken gehörte, nachdenklich an.
Dede Semids Vorstellungen hatten nicht vermocht, der Herrin die Augen zu öffnen. Roxelane hatte sie als wohlwollenden Übereifer abgetan. Sie war entschlossen gewesen, ihre Liebe zu Soliman durch keine Politik trüben zu lassen und durch keinerlei Zettelung, auch nicht gegen das Alte Serail, in dem das feindliche Lager zu sehen sie sich leichten Herzens gewöhnt hatte. Roxelane hatte ihr Märchen behalten wollen.
Nun aber war Esma gekommen, und nun sah Roxelane, daß nicht nur ihr Märchen, daß auch ihre Liebe gefährdet war. Wenn die Damen des Alten Serails ihre Hände so tief in die Politik steckten, dann mußten sie - wenn sie keinen Widerstand fanden - auch Solimans Leben und damit Roxelanes Leben in ihre Hände bekommen. Denn im Kaiserreich war der Padischah die Spitze der Pyramide. Alle politischen Bewegungen gingen von ihm aus oder kehrten in ihren Wirkungen zu ihm zurück. Kaiser und Reich waren untrennbar, und wenn Roxelane untrennbar von Soliman bleiben wollte, dann . . . durfte sie dem Reich nicht aus dem Wege gehen.
Roxelane begann zu begreifen.
Daß die Walide ihren Schwiegersohn Ferhad nicht zum Großwesir wollte, machte ihr alle Ehre. Daß sie den Serasker Mustafa des Familienfriedens wegen fallen ließ, war von ihr, der Mutter, zu verstehen. So blieb nur Achmed, der fähig und zugleich lenksam wie alle Ehrgeizlinge war.
Das ungefähr hatte schon Esma gesagt.
Warum aber die Walide den Ibrahim nicht wolle? überlegte Roxelane.
Und dann fragte sie es laut.
Denn Dede Semid hatte sich mit den Mädchen wieder entfernt und Roxelane mit ihrem Gast allein gelassen.
„Ich weiß sehr wohl“, gab Esma zur Antwort, „warum die Mutter vom Ibrahim nichts wissen will! Sie sagt, weil er Wein trinke und den Bruder dazu verführe, weil er ein Freigeist und mehr ein Christ sei als ein Muselman. In Wirklichkeit will sie nichts von ihm wissen, weil er Solimans Freund ist und also keinen Mittler beim Kaiser braucht. Er braucht meine Mutter nicht, das ist es, warum sie ihn nicht in der Familie und nicht als Wesir haben will. Ibrahim Bey soll sehr selbständig sein. Als Großwesir würde er wahrscheinlich alles nach seinem Kopf machen und nach keinem Menschen etwas fragen, auch nicht nach der Mutter. Aber - oh, Churrem!“ schluchzte das Mädchen nun, „ich liebe ihn doch so sehr!“
Roxelane überging diesen Ausbruch.
Was das wohl für eine törichte Liebe sein möge, dachte sie - dieses
Kind habe mit Ibrahim ja niemals auch nur ein einziges Wort gesprochen!
Aber was Esma gesagt habe, sei dennoch richtig, grübelte Roxelane, nur komme noch etwas hinzu. Ibrahim sei geborener Christ wie Mustafa, wie Ferhad, wie Achmed, wie alle Wesire außer dem alten Großwesir Piri Mustafa selbst. Aber Ibrahim sei außerdem noch geborener Venezianer und, wie man wisse, den Interessen Venedigs gewogen. Zum Schleiergeld der Walide gehöre nun auch der Jahrestribut, den Venedig für das Königreich Zypern zahle: zehntausend Golddukaten, und es sei bekannt, daß diese Summe der Walide für ein so großes und schönes Königreich viel zu gering erscheine. Würde jedoch der geborene Venezianer Ibrahim deswegen von der Signoria mehr verlangen, würde er gar aus diesem Grunde Krieg gegen Venedig führen wollen? Gewiß nicht!
„Churrem. ..", bat Esma wieder.
„Ja . . .", antwortete Roxelane zerstreut.
Sie aber, Roxelane, würde Solimans Liebe dem Freund nicht entziehen können, verfolgte sie die Zusammenhänge weiter. Und sie wolle es auch gar nicht! Durch sie solle Soliman nicht ärmer werden. - Sei es daher nicht besser, Ibrahims Erhebung zur höchsten Würde zu begünstigen und seine Heirat mit Esma, die doch ein liebes und hübsches Mädchen sei? Vielleicht würden sie nicht nur Verwandte, sondern auch Freunde werden, sie, Roxelane, und Ibrahim. In jedem Fall würde sie durch Esma seine Gedanken kennen. Und das sei schon viel. Denn daß sie ein Geschöpf der
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