Roxelane
Aga keine Schwierigkeit gemacht, die Geburt zu protokollieren, und die Obersthofmeisterin keine, das Protokoll mit des Sultans Namenszug zu siegeln.
Dann jedoch war alles in fieberhafte Erregung geraten.
Das Alte Serail hatte an diesem schwarzen Tag mit der unerwarteten Nachricht einen zweiten Schlag erlitten. Kira Sultana dagegen war wohl mit Neid, aber auch mit Freude darüber erfüllt worden, daß die Stellung des Neuen Serails jetzt unleugbar stärker war als zuvor.
Bevor noch die Öffentlichkeit das Ereignis vernommen hatte, waren auch schon zwei hohe schwarze Eunuchen, jeder Präfekt einer Kammer, ins Hauptquartier abgegangen, der eine zu Land, der andere auf dem Seeweg, und jeder bemüht, dem Kaiser als erster dessen neue Vaterschaft zu vermelden. Auch die fremden Gesandtschaften waren nicht müßig gewesen. Ihre Kuriere befanden sich bereits auf dem Wege nach Wien, Ragusa, Florenz und Paris. Eine starke Kogge machte zur Abfahrt nach London klar. Alles, was zum Hof und zur Regierung gehörte, nahm an dem Ereignis teil, war bestürzt, hatte Bedenken, hoffte, jubelte oder wählte den bequemeren Weg des Abwartens.
Überall war stürmische Geschäftigkeit und Diskussion.
Nur in Roxelanes Schlafzimmer herrschte lautlose Stille.
Lange hatte sie in einer Lache ihres Blutes gelegen, bis es dem Hakim, dem Arzt, endlich gelungen war, des gefährlichen Ergusses Herr zu werden. Nun lag sie in ihrem Bett. Aber das Bewußtsein hatte sie nicht wiedererlangt.
Um das Kind bemühten sich unterdessen in einem Nachbarzimmer die Frauen. Sie wurden von der Obersthofmeisterin und anderen Chargen überwacht, und alle harrten ihres Dienstes für den Fall, daß der Leibarzt und Dede Semid Roxelanes Erwachen ankündigen würden.
Denn außer dem Hakim war Dede Semid der einzige Mensch bei der Wöchnerin.
Still weinte sie vor sich hin.
Ohne zu denken hatte sie das Kind der Freundin ans Licht gehoben, und erst als sie Roxelane wie tot auf dem Teppich gesehen hatte, war das Entsetzen über sie gekommen.
Dann hatte Resmi, der Arzt, der jungen Mutter einen Spiegel vor den Mund gehalten. Qualvolle Sekunden waren verstrichen. Und Dede Semid hatte selbst auf der blanken Fläche den Belag vom Atem der Herrin sehen müssen, um zu glauben, daß nichts Unwiderrufliches geschehen sei.
Seit diesem Augenblick weinte sie.
Sie hatte die von Blut geröteten Pergamente an sich genommen, und sie wäre keine Frau und keine Freundin gewesen, wenn sie die Briefe ungelesen beiseite gelegt hätte.
Das Schreiben Bolils war ihr bekannt. Das andere aber war von Soliman.
Fast ohne Eifersucht las sie, so menschlich war dieser Brief des Liebenden an die Geliebte. Nichts von Schwulst war darin. Ganz einfach berichtete er von seiner Eroberung, schrieb er von seiner Sehnsucht nach ihr und von dem Glück der Wiedervereinigung, das ihm nun bevorstehe.
Dede Semid begriff Roxelanes Liebe zu Soliman, und im Augenblick war sie so gestimmt, daß sie dem Kaiser Roxelanes Liebe, die sie ihm nicht gönnte, nahezu verziehen hätte.
Immer noch tropften ihre Tränen auf die Schriftzüge Solimans, als sie den Kopf hob und ein unbändiger Stolz auf Roxelane in ihr emporquoll. Denn jetzt begrüßten die Kanonen der Hauptstadt das Kind der Freundin mit ihrem Salut.
Auch Roxelane vernahm die rollenden Salven.
Sie waren die ersten Laute, die sie aus der schwarzen, traumlosen Nacht ins Leben zurückriefen, zurück in das kampferfüllte, herrliche Leben.
Wie an ihr Lager geschmiedet empfand sie sich, wie mit unüberwindlichen Gewichten beschwert ihre Lider. Und doch fühlte sie deutlich, daß sie ihre Augen öffnen, daß sie erwachen müsse, weil etwas Wichtiges geschehe, das ohne sie seinen Sinn verliere.
,Ich will nicht! Ich will nicht!' arbeitete es in ihr.
Und das sollte heißen: ,Ich will nicht leben und will kein Kind!' Soliman sei fern, sollte es heißen, und er habe sie betrogen. Und nie mehr könne sie zu ihm kommen, nie mehr mit ihm glücklich sein. Das sei es, warum sie jetzt tot bleiben müsse und nicht mehr erwachen dürfe.
Aber nichts half ihr das Nichtwollen und Nichtdürfen.
Von weither rief es sie. Irgend etwas, das leben wollte und ohne sie nicht leben konnte, rief sie. Immer näher kam es, immer dringlicher wurde der Ruf, immer dröhnender.
Und dann waren es die Kanonen, die sie gerufen hatten.
Es war das Kind, das sie mit Kanonen ins Leben zurückrief, das Kind, das nicht leben konnte ohne sie, das um den Schutz der Mutter flehte.
Mit der Qual
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