Roxelane
will fort von hier! Wenn auch nur bis in ein Haus am Meer, in Dede Semids kleines Haus. Dort will ich am lebendigen Wasser mein Kind erziehen und nie mehr etwas sehen von einem Mann. Nie mehr! Laß das Kind kein Sohn sein! Gott!! Kein Sohn ...“
Mit dem nackten Kind beugte die Kiajai Harem sich über sie.
Gar nicht gut war das Kind anzuschauen. Niemand hätte etwas Schönes an diesem rötlichen Ballen Fleisch gefunden. Und nun greinte es auch noch, und dabei öffnete es die Augen.
Es waren Solimans Augen, und das Kind war ein Knabe.
Da nahm Roxelane ihren Sohn an ihre Brust.
Und da liebte sie ihn.
ZWEITES BUCH
21
Der Saim und Rittmeister Sulkodscha, der sein Siamet, sein Großlehen, in Anatolien hatte, besah nach dem letzten Feldzug Konstantinopel.
Er ging, wie ein Dscheri Baschi seinen Lehen-Sipahis voranreitet: den Krummsäbel und die Offizierskeule an seiner Seite, den Eisenhelm auf dem Kopf, das Kinn glattgeschoren; den Schnauzbart aber zurückgestrichen und mit den Enden um die Ohren gewickelt, auf daß ihm der Schmuck nicht hinderlich werde. Nur den schweren Schild, die Lanze und den Karabiner hatte er im Quartier gelassen. Auf dem Hippodrom verweilte er.
Der Platz war groß. Schon zur byzantinischen Zeit war er nicht nur der Schauplatz der Wagenrennen gewesen, sondern mehr als einmal hatte sich auf ihm in den Parteikämpfen auch Sieg oder Niederlage von Dynastien entschieden. Der Platz gefiel dem Saim und Dscheri Baschi Sulkodscha.
Er fühlte sich wie befreit.
Denn während ihn sonst überall die Enge der Weltstadtstraßen bedrückte, sah er hier mehr als Raum genug vor sich, um jede nur denkbare Entfaltung seiner Schwadron zu ermöglichen.
Dann ging er zur Betrachtung der Einzelheiten über.
Die Galgen, die er aufgerichtet sah, billigte er ohne weiteres Fragen und von ganzem Herzen. Sie bekundeten eine feste Polizei und das hohe Ansehen, dessen sich die Rechtspflege erfreute.
Anderes erschien ihm weniger merkwürdig, wieder anderes erweckte sein Befremden.
Vor der ehernen Schlangensäule ließ er sich dadurch beschwichtigen, daß sie kaum als ein vom Koran verworfenes Bildwerk anzusehen sei, sondern vielmehr als ein Siegesdenkmal aus grauester Vorzeit, die den Gesetzen des Propheten noch nicht habe nachleben können. Angesichts der Siegesbeute aus Ungarn aber, aus dem königlichen Schloß zu Buda, ließ sich seine Entrüstung nicht dämpfen.
Auch hierbei handelte es sich um Säulen, und zwar gleich um drei. Sie jedoch wurden ganz unmißverständlich von je einer menschlichen Gestalt gekrönt, und wenn Sulkodscha auch gewußt hätte, daß sie die heidnischen Griechengötter Herakles, die keusche Artemis und Apollon darsteilen sollten, so hätte das die Sache doch in seinen Augen in keiner Weise gebessert.
Das sei Götzendienerei! sagte er, und seine hauptstädtischen Freunde waren sehr verlegen, weil sie im Grunde dieselbe Meinung hegten. Zumal das halbnackte Weibsbild sei eine gewaltige Schändlichkeit, erklärte Sulkodscha zornig, und wozu denn all diese Galgen da seien, wenn nicht dazu, um den Mann, der das schamlose Frauenzimmer vor allen Leuten auf die Säule gestellt habe, an einen dieser Galgen aufzuhängen!
Doch jetzt wurde aus der Verlegenheit seiner Freunde Angst. Man bedeutete ihm zu schweigen.
Denn ähnliche Worte hatten, sogar in der gefälligeren Form eines Gedichts, vor noch nicht langer Zeit bewirkt, daß zwar nicht der Kunstliebhaber, wohl aber der Künstler, nämlich der Urheber jener Verse, an einen der Galgen gehängt worden war, die Sulkodscha so empfahl.
Ob er denn Ibrahim Pascha nicht kenne? fragte man ihn.
Wie denn das wohl möglich sei? entgegnete der Saim. Den Großwesir und Serasker der letzten Feldzüge müsse er doch kennen, den Mann, der bei Mohacs, dem Grab des Ungarnheeres, kommandiert habe, und wenn er, der Saim, auch vom Lande sei, so sei er doch Soldat und... Nun wohl, unterbrach man ihn, dort drüben stehe Ibrahims Palast, dort, wo das Menschengedränge sei, und Ibrahim sei es gewesen, der die Trophäen vor seinem Hause habe aufstellen lassen. Überhaupt sei das Serail des Großwesirs ein Wunder, fuhr man eilfertig fort, um den rauhen Gast in ein unverfänglicheres Gespräch zu verstricken, der neue, fensterlose Anbau zum Beispiel, den mit der erhabenen Kuppel, den Sulkodscha da sehe, sei nicht etwa eine Moschee, wie er zu glau-
ben völlig berechtigt sei, sondern ein Schwimm- und Dampfbad, das sich Ibrahim habe bauen lassen. Auch sei das durchaus
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