Roxelane
der Verdammten zermarterte sie ihr Gehirn: wie viele Schüsse wohl gefallen seien?! Sie wußte es nicht. Und sie konnte es nicht nachrechnen.
,Nur nicht dreiundzwanzig!‘ bettelte ihre Seele. ,Laß es nicht dreiundzwanzig sein, lieber Gott! Keinen Sohn! Lieber, lieber Gott, laß es keinen Sohn sein!!‘
Dreiundzwanzig Salven bedeuteten die Geburt eines Prinzen.
„Nein!“ schrie Roxelane. „Ich will nicht!“
Es war ihr erster Laut.
Resmi, der Arzt, zog sich mit einer Verbeugung zurück.
Dann redete er Dede Semid an.
„Ihre Hoheit sind erwacht, Dame“, sagte er.
„Und . . .?!“ fragte Dede Semid mehr mit den Augen.
„Allah war gnädig“, erklärte er.
Was bedeutete dem Arzt schon eine Geburt! Er hatte Fälle erlebt, da ihm die Mutter weggestorben war, und andere, da er das Kind hatte opfern müssen. Mehr als einmal hatte er den Kaiserschnitt ausgeführt und mehr als einmal mit Erfolg. In Bagdad und Damaskus hatte er studiert und in Italien sich mit der fränkischen Weise vertraut gemacht. Die allerdings war mehr Wind gewesen und Aberglaube, und selbst der eine, durch den Resmi an alte arabische Anschauungen gemahnt worden war - Paracelsus hatte er sich genannt-, war der Mystik anheimgefallen. Resmi aber glaubte an den Koran und die Sunna, die beide zu glauben waren, und wollte mit der Mystik, die sich auch im Islam immer mehr ausbreitete, nichts zu tun haben. Er war Arzt und glaubte an das, was er sah. Und demnach war ein Fall wie der dieser Dame keiner, der ihm besondere Befriedigung hätte gewähren können. Höchstens, daß er sich das Geschenk errechnete, das ihm der Großherr verehren würde, und das wieder hing davon ab, ob das Kind am Leben bliebe.
Ein Achtmonatskind durchzubringen sei nicht leicht, dachte er; aber das sei Sadie der Frauen. Der Fall dieser Dame jedoch sei ein gewöhnlicher Fall, mehr der Fall einer Bäuerin als einer Dame: etwas reichlicher Blutverlust und sonst nichts.
„Ihre Hoheit werden ihre Schwäche in wenigen Tagen überstanden haben“, erklärte er mit nachsichtigem Lächeln. - Und dann schickte er sich an, das Zimmer zu verlassen.
„Nicht doch!“ bat Dede Semid. „Wir müssen sie jetzt in Ruhe lassen. Sie darf es nicht sehen.“
„Was darf sie nicht sehen?“
„Das Kind!“
„Das Kind nicht?“ erstaunte der Arzt. „Wenn es am Leben ist, wird sie es sehen.“
„Sie darf nicht! Es wird sie erregen!“
„Sie ist schwach“, gab er zu. „Wenn Sie es so ausdrücken wollen, ist sie sehr schwach. Doch das ist kein Grund zur Besorgnis.“
„So hören Sie doch, Ehrwürden!“ beschwor ihn Dede Semid. „Es gibt noch andere Dinge als die des Leibes, Dinge der Seele. Und sie will das Kind nicht! Verstehen Sie?! Sie will es nicht!“
Einen Augenblick dachte der Arzt nach. Schließlich war er auch Theologe.
„Ich bin ein Hakim“, sagte er dann. „Gibt es andere Dinge als die, die mir Allah geboten, so sind sie sein Wille. Wer bin ich? Wir dürfen nicht säumen.“
Aber Dede Semid folgte ihm nicht.
Sie eilte zu Roxelane und küßte ihr kniend die Hände.
Nicht eine einzige winzige Frage kam über Roxelanes Lippen, keine Frage nach dem Kind.
„Schick sie fort“, flüsterte sie nur. „Ich will sie nicht sehen!“ stöhnte sie mit zurückgeworfenem Kopf und verkrampftem Körper, als sollte sie noch einmal gebären.
Das Geräusch vieler Tritte kam näher.
Die Tür öffnete sich.
Auf der Schwelle erschien die Kiajai Harem mit ihrem Gefolge.
Auf den Armen trug sie ein grünes Bündel - offenbar das Kind. Dede Semid vertrat der Obersthofmeisterin den Weg.
„Sie übersteht es nicht, Exzellenz“, sagte sie.
„Ich hörte bereits von Ihrem seltsamen Begehren“, erklärte die hohe Dame voll Mißbilligung. „Aber Seine Ehrwürden sieht keinen Grund, den Vorschriften zuwiderzuhandeln. Es ist also meine Pflicht und mein Recht, das Kind an die Brust der Mutter zu legen.“
„Bitte nicht!“ rief Dede Semid.
Aber kein Mensch hörte mehr auf sie.
Als sie jedoch sah, wie die Obersthofmeisterin sich mit tiefer Verbeugung Ihrer Hoheit näherte, kam ihr trotz aller Angst auf einmal zum Bewußtsein, welche Wandlung das Kind in Roxelanes Stellung bewirkt habe.
Es war nicht so lange her, da hatte Dede Semid sich eine Roxelane Sultana gewünscht, und jetzt sah sie, wie man das Kind dieser Sultana aus den Tüchern nahm, aus den kaiserlichen Tüchern!
„Sie kommen!“ bebte indessen Roxelane. „Sie bringen das Kind. Laß es ein Mädchen sein, Gott! Ich
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