Roxelane
Kulka.
„Ich kenne jeden Schritt meines Kindes“, überlegte Hafsa Chatun noch immer. „Aber wenn es auch nicht wahr zu sein braucht, so wollte Ich doch, ich hätte dich früher gefragt, Kulka.“
In diesem Augenblick wurde Ferhad gemeldet. Und da die Walide wußte, daß ihr Schwiegersohn Kulka nur schwer ertrug, fand der Pascha den Zwerg bei seinem Eintritt nicht mehr vor.
Die Walide betrachtete den Wesir ein Weile, ohne ihm eine Annäherung zu gestatten.
Er jedoch hielt ihrem Blick in einer Haltung stand, von der selbst sie nicht wußte, ob das nun frecher Trotz oder Freimut sei. Dessen fühlte sie sich freilich versichert, daß dieser Draufgänger keinen Gedanken zu Ende denken könne, und beinahe hätte sie gelächelt, wodurch allerdings ihr Verlangen, diesen Mann zu ducken, keineswegs geringer wurde.
Er gab ihr auch gleich eine Gelegenheit dazu. In seiner ersten Auflehnung brüstete er sich nämlich damit, ein Königreich zu einer Provinz seines Herrn gemacht zu haben. Und gerade das, sein Wüten und die Ausrottung des Herrscherhauses von Sulkadr, mit dem sich die Familie Osman so oft verschwägert habe, warf die Walide ihm vor. Zum andernmal war es kein guter Einfall von Ferhad, seiner Schwiegermutter mit einer Ironie zu antworten, die er sich selten versagen konnte.
Wie der Kanun des Eroberers lehre, sagte er, sei die Familie Osman in dieser Hinsicht auch nicht eben zurückhaltend zu nennen, was durch die Erdrosselung von Sultan Halil und dessen Sohn jüngst wieder bestätigt worden sei.
Doch diese Antwort trug ihm nur die Belehrung ein, daß die Gesetze der kaiserlichen Familie viel zu erhaben seien, um von einem Sklaven wie ihm verstanden zu werden, und auch weit höheren Zwecken dienen als dem Erwerb irgendeines Königreiches, von denen der Padischah genug besitze. Ferhad solle sich verteidigen, verlangte die Walide, und sich jeglicher Vermessenheit enthalten. Denn wenn es wahr sei, daß er die Ehre Ihrer kaiserlichen Hoheit, seiner fürstlichen Gemahlin, durch Vergehungen mit niedriggeborenen Mädchen befleckt habe, so sehe sie, die Sultana Walide, sich genötigt, ihm fernerhin ihren Anblick zu entziehen.
Nun erschrak Ferhad doch, weil er nicht einen Augenblick darüber im Zweifel war, daß es ihm das Leben kosten könnte, falls er den Schutz der Frauen verlieren sollte.
Darum leugnete er mit einer so flammenden Entrüstung, daß seine Schwiegermutter ihm nicht länger widerstand. Zuletzt lächelte sie doch, und er durfte den Saum ihres Gewandes und seiner Frau die Hand küssen.
Dafür hatte der Pascha allerdings auch den festlichen Teil seiner Begegnung mit der Walide zu bestehen, wobei er innerlich über den geringen Anreiz solcher familiären Veranstaltungen von Herzensgrund seufzte. Nicht einmal der Tanz, den die Ehrendamen nach dem Kaffee zu Gesang und Laute ausführten, konnte ihn umstimmen. Immer wieder mußte er an andere Darbietungen denken, bei denen die Mädchen gewiß nicht so schön und lange nicht so gebildet und weit, weit weniger bekleidet gewesen waren; die ihm aber, was die Greifbarkeit der Genüsse anlangte, wesentlich besser behagt hatten. Doch das sei allmählich zu gefährlich geworden, trauerte er diesen Erinnerungen nach. Und die kleine Smyrniotin müsse er wohl verschwinden lassen.
Denn er spürte im Nacken und an der Kehle einen eigenartigen Druck, wie ihn allzu heftiges Denken an die seidene Schnur hervorrufen mochte.
Auf sie wenigstens glaubte Ferhad als Pascha von drei Roßschweifen und kaiserlicher Schwager ein Anrecht zu haben, für den Fall nämlich, daß die Damen sich von ihm abwenden sollten.
Nicht nur die Hebammen, sondern sogar der Erste Leibarzt war zu Roxelanes Entbindung erschienen.
Das Erscheinen des Mediziners hatte eine allgemeine Verschleierung der Frauenwelt zur Folge gehabt, weil die ärztliche Kunst wie die Rechtsprechung als geistliche Disziplinen des Islams galten und darum nur von unverschnittenen Ulema geübt wurden. Außer ihnen gab es noch jüdische Ärzte, aber denen war Soliman grundsätzlich abgeneigt. Das rechtzeitige Eintreffen der Hebammen und des Arztes konnte von Roxelanes Freunden nur als ein Glück angesehen werden. Denn dadurch, daß die Erste Hebamme als zuständige Amtsperson das Neugeborene von der Mutter hatte lösen können, war jeder Einwand gegen die fürstliche Geburt hinfällig geworden. Eigentlich hätte nämlich eine Reihe genau im Zeremonial bestimmter Zeugen zugegen gewesen sein müssen. Dennoch hatte der Kislar
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